Journalisten in Russland, die über den Umgang der Behörden mit der Covid-19-Pandemie berichten, sehen sich weiterhin mit Bußgeldern und Ermittlungen aufgrund neuer Gesetze zu „Fake-News” konfrontiert, was die ohnehin schon feindselige Landschaft für kritische und unabhängige Medien noch verschärft.
Während der Coronavirus-Pandemie hat die Medienaufsichtsbehörde des Landes Dutzende Lösch- und Korrekturanordnungen erlassen und damit gedroht, Nachrichten-Websites wegen der Berichterstattung zu sperren, gegen eine Journalistin wird wegen eines von ihr veröffentlichten Artikels strafrechtlich ermittelt.
Der Rücktritt von fünf stellvertretenden Chefredakteuren einer führenden Wirtschaftszeitung hat Besorgnis über eine schleichende kremlfreundliche Zensur ausgelöst, auch wurden schwerwiegende Anschuldigungen bezüglich einer Verschwörung des Präsidenten der russischen Republik Tschetschenien zur Ermordung eines georgischen Fernsehmoderators erhoben.
Am 22. Juni verurteilte ein Gericht den Moskauer Radiosender Echo zu einer Geldstrafe von 260.000 Rubel (3.340 Euro), weil er angeblich “wissentlich falsche Informationen verbreitet hatte, die eine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellten.” Der Chefredakteur der Website des Radiosenders, Witali Ruwinskij, wurde zu einer Geldstrafe von 60.000 Rubel (770 Euro) verurteilt.
Die Anschuldigungen rühren von einem Interview, das der Sender zusammen mit einem Politikanalytiker veröffentlichte, der Zweifel an der Zuverlässigkeit der offiziellen Coronavirus-Statistiken der russischen Regierung äußerte. Der Sender plant, gegen die Entscheidung Berufung einzulegen.
In einer ähnlichen Situation Anfang des Monats verurteilte ein Gericht Timur Almaev, Chefredakteur der Nachrichtenwebsite ProUfu, zu einer Geldstrafe von 60.000 Rubel (770 Euro), weil er „Fake-News” in einem Artikel verbreitet haben soll, in dem behauptet wurde, dass tausend Gräber für potenzielle Covid-19 Todesfälle ausgehoben worden seien.
Almaev kritisierte die Geldstrafe und sagte, die Information über die Gräber sei direkt von einem lokalen Pressesekretär gekommen. Nachdem er zunächst die Information gegeben hatte, stellte die Ortsverwaltung am nächsten Tag auf ihrer Website fest, dass die veröffentlichten Informationen falsch seien. Almajew hat gegen die Geldstrafe Berufung eingelegt.
IPI hatte bereits früher berichtet, wie neue „Fake- News” Gesetze benutzt wurden, um die kritische Berichterstattung der Medien über die Covid-19-Situation in Russland zu unterbinden, zu zensieren und mit Geldstrafen zu belegen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verzeichnete mehr als 600.000 Covid-Fälle in Russland.
Beispiele für eine zensierte Berichterstattung sind ein Interview mit einem Seuchenexperten, der den Umgang der Regierung mit der Pandemie kritisierte, ein Bericht auf einer medialen Nachrichtenwebsite über Versicherungszahlungen für infizierte Krankenhauspatienten und ein Artikel, der die Reaktion der lokalen Behörden hinsichtlich der Pandemie evaluiert.
“Wie viele Staaten auf der ganzen Welt ergreifen die Behörden in Russland extreme Maßnahmen, um die Berichterstattung zu kontrollieren, wie die Regierung mit der Coronavirus-Pandemie umging”, so der stellvertretende Direktor IPIs, Scott Griffen.” Diese jüngsten Bußgelder und Anschuldigungen wegen „Fake-News“ sind ein weiteres Beispiel ihrer Bestrebungen, Berichte zu zensieren, die ihren Umgang mit der Pandemie in ein schlechtes Licht rücken. Anstatt zu versuchen, ihr eigenes Image zu schützen, sollten sich die russischen Behörden darauf konzentrieren, die Pressefreiheit und das Recht ihrer Bürger auf Information aufrechtzuerhalten.“
Prozesse und Untersuchungen gehen weiter
In der Zwischenzeit sehen sich Journalisten in Russland weiterhin mit laufenden Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungen im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung über das Coronavirus und andere schwierige Themen konfrontiert.
Am 9. Juni wurde die Journalistin Tatjana Voltskaya von Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) im Rahmen einer möglichen strafrechtlichen Untersuchung von der Polizei in Sivirsky, einer Stadt außerhalb von St. Petersburg, vorgeladen. Medienberichten zufolge wurde sie gemäß Artikel 9 von Art. 13.15 des Verwaltungsgesetzbuches vorgeladen, der sich mit dem “Missbrauch der Freiheit der Masseninformation” befasst.
Die Untersuchung wurde wegen eines anonymen Interviews gestartet, das sie mit einem Mediziner über den möglichen Mangel an Beatmungsmaschinen veröffentlichte. Später wurde sie befragt und unter Druck gesetzt, ihre Quellen preiszugeben. Die Behörden behaupten, dass sie “Fake-News verbreitet haben soll”, ein Strafbestand, der mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft wird.
Am 23. Juni wurde der Prozess im Fall der russischen Journalistin Swetlana Prokopiewa wieder aufgenommen, die für “Rechtfertigung des Terrorismus” angeklagt ist wegen eines Kommentars, den sie in einer Radiosendung über ein Selbstmordattentat auf den Föderalen Sicherheitsdienst (FSB) im Jahr 2018 gemacht hatte, in dem sie die Rahmenbedingungen analysiert hat, die die Menschen in Russland zu Terrorakten treiben. Im Falle eines Schuldspruchs drohen ihr bis zu sieben Jahre Gefängnis.
„Als Journalistin stehe ich wegen meiner Arbeit vor Gericht”, sagte sie während ihres Prozesses am 22. Juni. Sie nannte den Prozess gegen sie „eine Schande” und sagte, es sei ein Zeichen der wachsenden Zensur. Das Urteil soll im Juli gefällt werden.
IPI hat die anhaltenden rechtlichen Schikanen gegenüber Prokopiewa verurteilt und erklärt, dass sowohl ihr Fall als auch die Untersuchung von Woltskaja politisch motiviert sind.
Schleichende Zensur
In einer Entwicklung, die weitere Besorgnis über einen Eingriff in die kremlfreundliche Zensur russischer Medien ausgelöst hat, haben alle fünf stellvertretenden Chefredakteure der “Wedomosti”, einer der bekanntesten Wirtschaftszeitungen des Landes, kürzlich aus Protest gegen die Ernennung eines neuen Chefredakteurs gekündigt.
Der Ankündigung vom 15. Juni folgte eine Entscheidung des Vorstands von Business News Media, der Herausgeber von Wedomosti, Andrej Schmarow zum Leiter der Zeitung zu ernennen. Berichten zufolge verbot Schmarow, nach seiner Übernahme als stellvertretender Herausgeber, die Veröffentlichung einer negativen Berichterstattung über die Pläne Präsident Putins zur Änderung der Verfassung, um bis 2036 an der Macht zu bleiben und drohte später damit, diejenigen zu entlassen, die sich dem Verbot widersetzten.
Bis vor kurzem war Wedomosti eine der wenigen in Russland verbliebenen Medien, die keine Verbindungen zu kremlfreundlichen Geschäftsleuten oder Behörden hatte. Die Unabhängigkeit der Zeitung ist jedoch seit der Verabschiedung eines Medienbesitzgesetzes im Jahr 2015, das ausländischen Unternehmen verbietet, mehr als 20% der Anteile an russischen Medienunternehmen zu besitzen, fraglich. In den folgenden Jahren verkauften amerikanische und finnische Investoren ihre Anteile.
Im Mai 2020 sprang in letzter Minute der kremlfreundliche Unternehmer Iwan Yeremin ein, der durch seine Holdinggesellschaft Sapport alleiniger Eigentümer wurde. Yeremin ist ein russischer Medienmanager und seine Unternehmen, darunter die Bundespresseagentur, unterhalten enge geschäftliche Beziehungen zur Regierung und zu staatlichen Firmen. In den letzten Jahren wurde eine Reihe anderer Medien in Russland an Eigentümer verkauft, die dem Kreml freundlicher gesinnt sind, was dazu führte, dass fügsamere Redakteure ernannt wurden und die redaktionelle Haltung gegenüber der Regierung aufgeweicht wurde.
Verschwörung zur Ermordung eines georgischen Journalisten
Am 16. Juni wurden Vorwürfe erhoben, der tschetschenische Staatschef Ramsan Kadyrow habe einen Auftragskiller geschickt, um einen georgischen Fernsehmoderator, Giorgi Gabunia, zu ermorden, der Putin beleidigt habe. Im Juli 2019 war Gabunia sowohl in Russland als auch in Georgien verurteilt worden. Er wurde suspendiert, da er eine profane Tirade live gehalten hatte.
Die Vorwürfe wurden von Nika Gvaramia, Direktorin der Nachrichtenagentur Mtavari Arkhi, in der Gabunia jetzt arbeitet, erhoben. Gvaramia behauptete, dass ein Mann, der am 12. Juni während einer Sonderoperation des Staatssicherheitsdienstes in Tiflis verhaftet worden war, geschickt worden sei, um Gabunia zu töten. Er identifizierte den festgenommenen Mann als einen 37-jährigen russischen Staatsbürger namens Vasambeg Bokov.
Der georgische Sicherheitsdienst bestätigte nicht, dass die Operation am 12. Juni in Verbindung mit dem Journalisten stand. Am 15. Juni teilte die Polizei mit, dass sie einen russischen Staatsbürger mit den Initialen VB unter dem Vorwurf der Fälschung, Anfertigung oder Verwendung gefälschter Dokumente verhaftet habe, und fügte hinzu, dass gegen ihn wegen „Vorbereitung eines Auftragsmordes” ermittelt werde.
Der georgische Premierminister Giorgi Gakharia bestätigte dann am 17. Juni, dass der Sicherheitsdienst „ein sehr schweres Verbrechen vereitelt” habe. Am 18. Juni erklärte das georgische Außenministerium, dass „ein Komplott zur Ermordung eines Journalisten absolut inakzeptabel ist”.
Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nannte die Attentatsvorwürfe „absurd”. Der tschetschenische Präsident leugnete, der Fall habe mit ihm zu tun. In einer Telegrammnachricht sagte er jedoch, der Journalist solle „auf die Knie gehen und um Vergebung bitten… sonst bleibt er mein Feind”. Er fügte hinzu: „Wenn jemand auf meine Befehle hin handelt, wird er sie ausführen, und wenn ein Auftrag still und leise ausgeführt werden soll, wird niemand davon erfahren.“
Aus dem Englischen von Julia Rieser übersetzt.