Giulio Milani ist ein 41-jähriger freiberuflicher italienischer Journalist mit einem erfundenen Namen und einer echten Geschichte. Vor der Covid-19-Krise verdiente er etwas mehr als tausend Euro pro Monat. Anfang 2020 gelang es ihm, zwei Jobs zu bekommen, die sein monatliches Einkommen deutlich erhöhen und seine Tätigkeit ein für alle Mal finanziell tragfähig machen würden. Dachte er zumindest.
„Ich hatte mir vorgestellt, dass 2020 endlich das Jahr des Durchbruchs sein würde, auf das ich lange gewartet hatte”, sagt er. Doch dann kam die Pandemie und die Dinge verschlechterten sich für ihn und viele andere freiberufliche Journalisten in Italien.
In den letzten zehn Jahren hat sich die Selbständigkeit zu einem wichtigen Bestandteil vieler Produktionssektoren in Italien entwickelt. Der Journalismus bildet da keine Ausnahme. Ende 2011 hatten nur 20% der regelmäßig im Nationalen Journalistenregister eingetragenen Reporter ein festes Gehalt, und dieser Prozentsatz ist nach und nach zurückgegangen. Der gesamte Rechtsrahmen für Arbeitsverträge im Land ist jedoch nicht ausreichend aktualisiert worden und konzentriert sich immer noch weitgehend auf Festanstellungen.
Eine im Juni 2020 von Acta (einer in Italien ansässigen Schwesterorganisation der Gewerkschaft der Freiberufler) durchgeführte Umfrage ergab, dass bereits vor der Pandemie 68% der italienischen freiberuflichen Journalisten weniger als 10.000 Euro brutto pro Jahr verdienten, wobei 48% von ihnen weniger als 5.000 Euro pro Jahr verdienten.
Actas Vorstandsmitglied Mattia Cavani erklärt, dass Umfragen gezeigt haben, wie sich die Bedingungen im Laufe der Zeit aufgrund von Verzerrungen in der Arbeitswelt und dem italienischen Wohlfahrtssystem, das nur auf Arbeitnehmer zugeschnitten ist, verschlechtert haben. „Diejenigen, die als Selbständige arbeiten, profitieren oft nicht von den institutionellen Stoßdämpfern, sondern können nur auf Unterstützung durch kurzfristige Notfallmaßnahmen zurückgreifen”, sagte er gegenüber IPI.
Anna Soru, Präsidentin von Acta, fügt hinzu, dass die durchgeführten Untersuchungen die Unterschiede zwischen freiberuflichen Journalisten und Selbständigen in anderen Sektoren zeigen. „Obwohl die Bedingungen für keinen der analysierten Sektoren sehr rosig sind, ist es klar, dass freiberufliche Journalisten die schlimmste Zeit haben. Ihre Bedingungen sind tragisch”, erklärte sie.
Der mangelnde Schutz für Selbständige – einschließlich der Mehrheit der Journalisten – bedeutet, dass es in Zeiten mit geringem Einkommen oder in Momenten wie Krankheit oder Schwangerschaft wenig Unterstützung gibt. „Das italienische Sozialsystem lässt die Selbständigen zurück, auch wenn sie für das Land immer wichtiger werden”, sagte Cavani.
Es gibt drei Hauptgründe für die Verarmung der freiberuflichen Journalisten: die Absage von Veranstaltungen, die Nichtzahlung bereits geleisteter Arbeit und die verringerte Verrechnungspreise, die von den Zeitungen gezahlt werden.
„Bevor die Gesundheitskrise explodierte, erhielt ich zwei wichtige Kooperationen mit bekannten nationalen Zeitungen. Ich verfasste und lieferte die in Auftrag gegebenen Texte, aber ihr Inhalt war nicht mehr berichtenswert, weil alles von Covid dominiert wurde”, sagte Giulio Milani.
Die Verlage beschlossen, Milani nicht zu bezahlen, obwohl die Arbeit abgegeben worden war. Eine der durchgeführten Studien ergab, dass die Bezahlung bei Veröffentlichung und nicht für die Lieferung für 66% der freiberuflichen Journalisten gängige Praxis ist. Drei weitere Freiberufler, die es vorzogen, anonym zu bleiben, sagten IPI, dass sie ebenfalls keine Bezahlung für Arbeiten erhielten, die kurz vor der Covid-19-Krise geliefert wurden.
„Die Überwindung eines solchen Mechanismus wäre einer der grundlegenden Mindestanforderungen, um der Arbeit unabhängiger Journalisten zumindest Würde zu verleihen”, sagte Soru.
Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass viele italienische Freiberufler ihre Chancen auf eine Zusammenarbeit mit nationalen Zeitungen sinken sehen. Wichtige nationale und internationale Veranstaltungen sind abgesagt worden, was zu weniger Arbeit geführt hat.
Antonio Piemontese, Sprecher von Acta Media, erklärt, woran der Verband arbeitet: „Wir haben ein Ernennungsschreiben veröffentlicht, das Freiberuflern helfen soll, ein angemessenes Honorar in einer angemessenen Zeit und bei Lieferung statt bei Veröffentlichung zu erhalten”.
Die freiberufliche Reporterin Claudia Zanella, die während des Lockdowns kein Geld verdienen konnte, sagt, dass es fast unmöglich war, in einem Umfeld zu berichten, in dem die Menschen in ihren Häusern eingesperrt waren. „Einerseits war es schwierig, hinauszugehen, andererseits gab es niemanden, mit dem man reden konnte, wenn man hinausging”, sagte sie.
Giulio Milani verlor während der zweimonatigen Abriegelung etwa 2.000 Euro. Aber in der Zwischenzeit hat sich etwas geändert. „Als ich wieder an die Arbeit ging, als neue Vorschläge angenommen wurden, wurde mir von einigen Redakteuren gesagt, dass das Honorar aufgrund des Rückgangs der Werbeeinnahmen um 30 % gesenkt werden würde.
Zeitungen, die von sinkenden Werbeeinnahmen abhängig sind, haben seit einiger Zeit Debatten über die Nachhaltigkeit der Pressefreiheit ausgelöst. Die Covid-19-Krise hat die Situation jedoch noch verschärft. Alberto Puliafito, Experte für Medien-Geschäftsmodelle und Mitbegründer von Slow News: „Der Covid-Notstand hat die seit einiger Zeit bestehende Dynamik beschleunigt und viele der Probleme in der Welt, wie wir sie kennen, in den Vordergrund gerückt”.
Puliafito argumentiert, dass das auf Anzeigen basierende Modell das Ende der Fahnenstange genau in dem Moment erreicht hat, in dem das größte Interesse und die größte Nachfrage an Nachrichten besteht, und zwar aus zwei Hauptgründen, nämlich den Kürzungen der Werbebudgets und dem Rückgang der Zeitungsverkäufe.
In diesem bereits problematischen Kontext sehen sich die italienischen Freiberufler nun mit einer zusätzlichen Quelle wirtschaftlicher Unsicherheit konfrontiert.
Anna Soru kommentierte dies: „Solch niedrige Löhne bedeuten, dass zum einen die Qualität der produzierten Stücke sinkt, und zum anderen, dass die Formate des Journalismus abnehmen. Es ist klar, dass ich, wenn man mir 20 oder 30 Euro brutto pro Text zahlt, ich mit Sicherheit keine große Untersuchung gegen die Machthaber durchziehen werde. Es geht nicht um Zensur, sondern um die finanzielle Unhaltbarkeit der freiberuflichen Tätigkeit. Und die Öffentlichkeit zahlt letztendlich dafür”.
Aus dem Englischen von Julia Rieser übersetzt
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