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Der Erdrutschsieg des ungarischen Premierministers Viktor Orbán in den Parlamentswahlen war noch keine 24 Stunden her, und schon wurde die bereits aufgerüttelte ungarische Medienlandschaft erneut von einem Erdbeben erschüttert.

Am Sonntag, dem 8. April 2018, gewann Orbáns Partei Fidesz mit einer Zweidrittelmehrheit die Parlamentswahlen in Ungarn und wird somit die dritte Legislaturperiode in Folge antreten. Bereits Montagnachmittag war es ein offenes Geheimnis, dass Lajos Simicska, einer von Ungarns reichsten Oligarchen und Besitzer mehrerer Medienunternehmen, sein Medienimperium abgeben wird.

Am Dienstag wurde dies dann öffentlich gemacht. Die JournalistInnen von Magyar Nemzet, der letzten politischen Tageszeitung ohne direkte oder indirekte Verbindungen zur Regierung, wurden darüber informiert, dass die seit 80 Jahren bestehende Zeitung am Mittwoch den 11. April zum letzten Mal in Druck gehen würde. Auch die Radiostation Lánchíd Rádió, ebenfalls Besitztum von Simicska, stellte an diesem Tag um Mitternacht den Sendebetrieb ein. Eine Woche später wurden Dutzende JournalistInnen und andere Angestellte des Fernsehsenders Hír TV entlassen. Der Sender war der einzige ungarische Nachrichtenkanal und wurde im Jahre 2003 von dem Oligarchen selbst gegründet. Auch der Chefredakteur der politischen Wochenzeitung Heti Válasz, die ebenfalls Simicska gehört, erhielt die Anweisung, sich nach Investoren umzuschauen, welche die Zeitung aufkaufen wollen.

„Ich war von dem plötzlichen und radikalen Kahlschlag ebenso überrascht, wie es die meisten Ungaren von Orbáns Zweidrittelmehrheit waren“, sagte Zsombor György, der Chefredakteur von Magyar Nemzet, der zum unfreiwilligen Sprecher für die fast 200 entlassenen Mitarbeiter von Simicskas Medienimperium geworden ist, in einem Interview mit dem International Press Institute (Internationales Presse Institut, IPI). „Ich hatte mich auf einen viel langsameren Ablauf eingestellt, der auch nicht in der totalen Kapitulation enden würde.“

Dies ist definitiv eine überraschende Wendung im Krieg zwischen Simicska und Orbán, der Anfang 2015 begann. Die beiden pflegten eine enge Partnerschaft, sogar Freundschaft, die über drei Jahrzehnte hinweg hielt und ihre Wurzeln in der Studentengruppe in den 80ern hatte, die später zur Fidesz-Partei werden sollte. Die beiden teilten sogar ein Zimmer in einem Studentenwohnheim und Orbán nannte Simicska bekannterweise einst „den Klügsten von uns allen“.

Nach dem Fall des Kommunismus 1989 ging Orbán in die Politik und Simicska, der einige Zeit als Schatzmeister des Fidesz-Partei fungierte und eine Zeit lang die ungarische Steuerbehörde leitete, galt als sein Finanzier. Kritiker haben Simicska beschuldigt, der Drahtzieher hinter der in Ungarn vorherrschenden Form der Korruption zu sein, bei der Fördergelder der EU vorwiegend an regierungsnahe Unternehmer vergeben werden. Im Jahr 2015 zerstritten sich die beiden in aller Öffentlichkeit und obwohl die Gründe hierfür immer noch nicht ganz klar sind, sind Orbán und Simicska seitdem verfeindet.

Die Financial Times zeigte dies in einem Beitrag über Orbán vor den Wahlen nochmals auf: „Laut einer Studie hatten im Jahr 2013 Simicskas Unternehmen über 12 Prozent der öffentlichen Ausschreibungsaufträge (gemessen an der Bezahlung) in Ungarn erhalten. Seit 2015 hat er hingegen nur wenige öffentliche Aufträge zugeteilt bekommen und wurde aus einigen der Fidesz-affinen Medienunternehmen verdrängt.“

Die Medienunternehmen waren Orbáns Regierung bis vor kurzem noch ein Dorn im Auge. Vor dem Jahre 2015 war Magyar Nemzet auf einer Linie mit der Politik der Fidesz-Partei, aber in den letzten drei Jahren hatte die Zeitung, nach ungarischen Maßstäben, eine relativ unabhängige Richtung und scharfzüngigen Ton für eine politische Tageszeitung verfolgt. György, der seit 2002 bei Magyar Nemzet arbeitete und Simicska niemals persönlich getroffen hatte, sagte IPI im Interview, dass die Zeitung nie unabhängiger agieren konnte, als in diesem Zeitraum.

„Uns wurde vorgeworfen Jobbik zu unterstützen (die ehemalig offen-rassistische, rechtsextreme Partei, die sich zuletzt in Richtung politische Mitte positioniert hatte. Sie galt als Simicskas engster Verbündeter, bevor sie in den Wahlen den abgeschlagenen zweiten Platz belegte), aber das war niemals der Fall“, sagte er. „Sie sind ganz einfach die größte der Parteien, welche es niemals an die Macht geschafft haben und somit kann man sie auch nicht für die Dinge verantwortlich machen, die in Ungarn falsch laufen.“

Laut György ist die Schließung der Magyar Nemzet aber als weniger radikal anzusehen, als die der Népszabadság. Die politische Tageszeitung war im Oktober 2016 von ihrem Besitzer geschlossen worden, einem österreichischen privaten Kapitalgeber, bekannt für die Vertretung der Interessen der Orbán-Regierung.

„Wir dürfen die Räumlichkeiten der Zeitung nach wie vor nutzen und werden allesamt unsere Bezahlung noch für die nächsten zwei Monate erhalten, so wie es auch im ungarischen Gesetz geregelt ist“, sagte György. „Wir sind nicht einmal böse auf Simicska.“

Aber wie es für die JournalistInnen von Magyar Nemzet und den anderen Angestellten von Simicskas Medienimperium in Zukunft weitergeht, ist unklar.

„Es gab Medienberichte über ungarische Milliardäre, welche das gesamte Unternehmen kaufen wollen und wir sind auch auf einige ungarische Unternehmer zugegangen, jedoch gab es keinerlei vielversprechende Rückmeldungen“, sagte György. „Sie haben zu viel Angst davor, Orbán zu verärgern und die Zeit wird knapp. Mir ist absolut klar, dass in ein oder zwei Wochen meine Kollegen anfangen werden, nach neuen Jobs zu suchen.“

Seiner Meinung nach ist der beste und wahrscheinlich einzige Ausweg um zumindest einen Teil der alten Redaktion von Magyar Nemzet zusammenzuhalten, das breit anerkannte Wochenendmagazin auszubauen und die Berichterstattung, welche sich sonst mit Kultur- und Lifestyle-Themen befasst, durch politische Themen zu erweitern und in ein wirtschaftlich rentables Magazin zu verwandeln.

„Die andere Option wäre, dieses Land einfach aufzugeben und stattdessen eine Karriere als Gärtner zu verfolgen“, fügte er hinzu.

Medienwächterorganisationen hatten schon vor der Wahl vorausgesagt, dass ein Sieg der Fidesz-Partei große Probleme für Ungarns noch-funktionierende unabhängige Presse bedeuten würde. Die gestärkte Position der Fidesz-Partei durch die Zweidrittelmehrheit im Parlament bedeutet somit eine noch größere Bedrohung.

Aus Györgys Sicht „sollte sich jeder, der bei diesen Pressestellen arbeitet auf das schlimmste Szenario vorbereiten.

„Da die Opposition derart schwach ausfällt, erkennt die Regierung in der unabhängigen Presse jetzt ihren Feind. Deswegen reden sie jetzt schon davon, dass die Presse nur aus Verlieren besteht, und darüber, dass die Verlierer irgendwann untergehen“.

Aus dem Englischen übersetzt von Benedikt Stuck.
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