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Auch wenn das Thema „Hasspostings“ (gegen JournalistInnen, aber auch gegen Dritte oder abstrakte Gruppen) erst im Jahr 2016 eine erhöhte mediale Aufmerksam bekam, kämpfen Medien schon seit Längerem damit. Alle digital tätigen Medienhäuser mussten sich in den letzten Jahren Gedanken machen, wie sie mit diesen Herausforderungen umgehen. Dahinter stehen neben den moralischen Überlegungen (Schutz der MitarbeiterInnen und Dritter), den gesetzlichen Vorgaben (nach dem Mediengesetz haften Medien für Kommentare, die auf ihren Plattformen abgesetzt werden) auch praktische Gedanken: Für JournalistInnen (insbesondere weibliche), aber auch Community-ManagerInnen bedeuten Hasspostings einen zusätzlichen psychischen Belastungsfaktor, der Probleme hervorrufen und einen negativen Einfluss auf Leben und Arbeit haben kann.

Genauso wie einzelne JournalistInnen persönlich haben auch Medien ihre Mechanismen, wie sie mit konkreten Beschimpfungen und der abstrakten Gefahr ebendieser umgehen. Das IPI hat bei größeren und kleineren Medienhäusern nachgefragt, wie sie ihr Community-Management organisieren, welche Strukturen sie aufbauen und wie sie die Herausforderungen allgemein beurteilen. Die Angaben variieren anhand der Größe, der Ausrichtung, der Struktur des Publikums und den eingesetzten Ressourcen. Aber drei Punkte ziehen sich durch alle Antworten.

Zum einen wissen die RedakteurInnen, aber auch die Chefetage und das Community-Management mittlerweile recht genau, bei welchen Themen mit einem verstärkten Aufkommen von problematischen Postings zu rechnen ist. Vor allem das Flüchtlingsthema bildete in den letzten anderthalb bis zwei Jahren die Basis für viele Beschimpfungen. Die Medien haben große Überschneidungen bei den umstrittenen Themen, obwohl die Ausrichtung und die Community da durchaus nochmal eine Rolle spielen. „Bei uns ist es vor allem das Thema Islam, das extrem emotional besetzt ist“, sagt Aleksandra Tulej von Biber.

Darüber hinaus trifft es die einzelnen JournalistInnen nicht zufällig und gleichmäßig. Die Community pickt sich ihre speziellen KandidatInnen heraus. „Wir haben einige Journalistinnen und Journalisten, das sind so drei, vier, die vor allem unter ihren Kommentaren beschimpft werden“, sagt Stefan Kaltenbrunner, Chefredakteur von kurier.at. Das bestätigt auch Christian Burger von derstandard.at. „Oft trägt man einzelnen JournalistInnen Formulierungen noch Jahre nach.“

Ein weiterer Punkt, der sich in den Gespräche zeigt: Die konkrete Ausformung der Beschimpfungen durchaus auch von redaktionellen Entscheidungen ab. Je prominenter eine AutorIn genannt oder dargestellt wird, desto höher ist grundsätzlich die Chance, dass er oder sie persönlich attackiert wird. In Fällen, wo die Redaktion als Absender auftritt oder die AutorInnenrolle eher kleiner dargestellt wird, werden die Angriffe grundsätzlicher. „Bei uns werden weniger einzelne Journalisten oder Journalistinnen attackiert, sondern mehr wir als Medium insgesamt“, sagt Clemens Pilz, Leiter des Community-Managements bei heute.at. Auch die gesamte Branche wird häufiger unter Schlagworten wie „Lügenpresse“ angegriffen.

Maßnahmen

Das ist alles nicht völlig neu. Die Medienhäuser haben in den letzten Jahren Lehren daraus gezogen aufgebaut, um mit den Herausforderungen so gut als möglich umgehen zu können. Einige der Lehren daraus können grob generalisiert werden.

Erstens ist professionelles Community-Management kein Allheilmittel, hilft aber durchaus. Der Standard ist mit seinem „User Generated Content“-Team von neun Leuten, die sich allerdings nicht nur um Forenbetreuung, sondern zum Beispiel auch um Gastkommentare von Usern kümmern, in Österreich Vorreiter – was natürlich auch mit der Größe der Foren und den daraus resultierenden Ressourcen zu tun hat. Bei heute.at sind drei MitarbeiterInnen für das Community-Management zuständig. Aber auch die meisten anderen Medienhäuser sind dabei, die entsprechenden Abteilungen zu professionalisieren oder haben das bereits getan. „Das ist aber natürlich auch ein Manpower-Problem“, sagt Kaltenbrunner. Sprich: Es ist teuer, und jedes Medium kann nur begrenzt Ressourcen dafür zu Verfügung stellen. Bei heute.at und kurier.at übernehmen RedakteurInnen in den Randstunden auch Aufgaben im Bereich Community-Management, was aber natürlich bedeutet, dass sie für andere Aufgaben fehlen. Bei kleineren Medien wie Biber sind überhaupt wenig bis keine Ressourcen für MitarbeiterInnen frei, die sich ausschließlich dieser Aufgabe widmen.

Zweitens können Strukturen helfen. Wenn JournalistInnen und RessortleiterInnen im Vorfeld wissen, welche Artikel problematisch sind und mit dem Community-Management in einem Austausch stehen, kann man sich auf das potentielle Ausmaß der Kommentarwelle vorbereiten beziehungsweise gegensteuern. Das passiert in den großen Medienhäusern mittlerweile ziemlich planmäßig. In den kleineren ist es weniger geplant, aber durch den kurzen Dienstweg wissen die MitarbeiterInnen schon meist, was passieren kann. Insgesamt machen es strukturell geplante Abläufe unwahrscheinlicher, dass Medien von Wellen an Hasskommentaren „überrascht“ werden.

Drittens lassen sich Diskussionen bis zu einem gewissen Grad durch Eingreifen steuern. Gerade bei Der Standard werden die RedakteurInnen angehalten, sich bei Diskussionen im Forum zu Wort zu melden. Auch andere Medien ziehen da mittlerweile nach. Dahinter steckt eine Doppelstrategie. „Wir zeigen damit unseren Usern, dass wir ihre Meinung schätzen“, sagt Burger. Aber eben auch, dass das Medium die Foren im Auge hat und niemand dort im unbeobachteten Raum agiert.

Viertens gibt es neben dem manuellen Eingreifen auch technologische Lösungen. Filtersoftware, die Postings mit bestimmten Wörter herausfiltern und zur manuellen Überprüfung schicken, wird in fast allen größeren Medienhäusern eingesetzt. Bei kurier.at werden die Foren zwischen 22 Uhr und 6 Uhr, wenn kein Community-Management stattfindet, grundsätzlich abgeschaltet. Bei Der Standard gehen die technischen Überlegungen aktuell noch weiter. „Wir haben bislang relativ viel Energie darein gesteckt, den kleine, sehr destruktiven Part unserer Community unsichtbarer zu machen“, erklärt Burger. „Wir wollen uns jetzt mehr darauf konzentrieren, den viel größeren, konstruktiven Part hervorzuheben.“ Doch all die technischen Überlegungen haben das Problem, dass sie nur auf den eigenen Webseiten möglich sind. Je mehr sich die Diskussion von den Kommentarbereichen weg in die sozialen Netzwerke verlagert, desto weniger Kontrolle haben Medien darüber. Auf Facebook kann man Kommentare nur nachträglich löschen oder unsichtbar machen, nicht vorab anschauen. Die Plattform verlangt also eigentlich arbeitsintensives Live-Monitoring.

Fünftens ist es wichtig, die MitarbeiterInnen mit dem Problem nicht alleine zu lassen. Und damit sind nicht nur die JournalistInnen gemeint, die natürlich im Fokus stehen, weil sie mit ihrem Namen für kritische Geschichten einstehen. Medien dürfen aber die Belastung, die man den JournalistInnen abnimmt, nicht einfach nur auf das Community-Management übertragen. Viele berichten von einzelnen Community-ManagerInnen, die dem Druck trotz intensiver Gespräche nicht mehr standgehalten und das Unternehmen verlassen haben. „Die ganze Branche muss lernen, mit den Community-Managern und Social-Media-Betreuern wirklich direkt zu kommunizieren und sie nicht alleine zu lassen mit dem, was sie den ganzen Tag tun“, sagt Kaltenbrunner. Das sei eine große Aufgabe, die noch auf alle zukommen werden. Genau wie bei betroffenen JournalistInnen behelfen sich die Community-ManagerInnen meist durch informelle Kontakte, lesen sich zum Beispiel besonders schlimme Postings vor. An formalen Strukturen und der Kommunikation derselben (an wen wenden sich MitarbeiterInnen in solchen Fällen, und wie wird das kommuniziert?) mangelt es in den Medienhäusern meist noch. Das ist natürlich nicht nur eine Frage des Willens, sondern auch der Ressourcen. Insgesamt sind die Strukturen der formellen Unterstützung in österreichischen Medien noch unterentwickelt.

Sechstens stoßen alle Maßnahmen irgendwann an eine Grenze, wo auch die besten technischen und gesetzlichen Maßnahmen nicht mehr helfen. „Wir haben auf kurier.at ein relativ strenges Anmeldeprocedere mit Telefonnummer“, erzählt Kaltenbrunner. Ein gewisses Grundrauschen an Beschmipfungen sei auch dadurch nicht zu verhindern. Die Leute seien da. Deshalb glaubt er auch nicht, dass strengere Gesetze helfen. „Wir zeigen seit einem Dreiviertel Jahr alles an, was auch nur ansatzweise gegen Gesetze verstößt. Wir haben mittlerweile 40 bis 50 Kommentare der Staatsanwaltschaft gemeldet.“ Alles könne man aber nicht verhindern. Es drängt sich allerdings ohnehin der Eindruck auf, dass die staatlichen Stellen auch nicht in allen Fällen gleich schnell reagieren. Während prominente JournalistInnen wie Florian Klenk oder Christa Zöchling von einer sehr schnellen Reaktion der Behörden in Fällen von Hasspostings berichten, erzählt Tulej vom Biber eine andere Geschichte. Sie hätte einen Poster, der sie immer wieder auf allen Kanälen beschimpft und bedroht habe, angezeigt und lange keine Reaktion erhalten.

Fazit

Die österreichischen Medien haben sich in den letzten Monaten und Jahren in der Thematik verbessert. Die Redaktionen haben die Probleme vermehrt selbst erkannt und waren – vielleicht auch durch die erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema – besser in der Lage, die Dringlichkeit an die Geschäftsführung heranzutragen.

Trotzdem hakt es noch an allen Ecken und Enden in unterschiedlichem Ausmaß. Dessen sind sich die Verantwortlichen zumindest weitgehend bewusst. „Wir haben in allen Belangen noch massives Verbesserungspotential“, spricht es Kaltenbrunner stellvertretend für die gesamte Branche aus. Gerade RedakteurInnen in kleinen Medien sind auf informelle Hilfen angewiesen – was nicht aus Böswilligkeit, sondern Ressourcenmangel resultiert. Auch in den größeren Medienhäusern fehlt es an formellen Strukturen, mit den Problemen umzugehen. Und die zunehmende Bedeutung von Facebook erschwert vieles noch einmal, weil auf Fremdplattformen die eigenen technischen Lösungen nicht zur Verfügung stehen.