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Im Moment des Interviews befand sich Christian Wehrschütz, langjähriger Korrespondent des ORFs für die Ukraine und den Balkan, in Wien. Ganz freiwillig ist dieser Aufenthalt nicht, denn am 8. März verhängte der ukrainische Staat ein – inzwischen wieder aufgehobenes – Einreiseverbot gegen den österreichischen Journalisten. Mit dem in Wien basierten International Press Institute (IPI) sprach er über die Pressesituation in der Ukraine, seine derzeitige Lage und warum man sich wie ein „Hamster in einem Laufrad fühlt“, wenn man sich mit ukrainischer Bürokratie auseinandersetzen muss.

Die Pressesituation in der Ukraine ist ein interessanter Fall, denn es herrscht nach Angaben des Journalisten eine enorme Medienvielfalt. Ebenso sei die Lenkung der ukrainischen Medien durch den Staat weitaus geringer als zum Beispiel in vielen anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion.

Die sozialen Netzwerke spielen als Informationsmedium in der Ukraine ebenso eine große Rolle. „Wenn Sie nicht auf Facebook, Telegram, Instagram und Twitter sind, sind Sie quasi ein Analphabet“, fasst es Wehrschütz zusammen. Während das Radio kaum als Informationsquelle dient und es keine wichtige Tageszeitung in Kiew als Qualitätsformat gibt, bieten die sozialen Medien eine unendlich große Plattform für verschiedene Interessengruppen, die eine breite Palette an unterschiedlichen Informationen bieten. „Es ist eine große Herausforderung, vieles zu lesen und anzuschauen. Aber Sie haben dafür eine enorme mediale Vielfalt“, so Wehrschütz.

Wie ein Hamster im Laufrad

Doch vor allem für ausländische Journalisten, die eine wichtige Informationsquelle über das seit fünf Jahren in Krieg verwickelte Land darstellen, wird die freie und rasche Berichterstattung durch die mächtige ukrainische Bürokratie gebremst. „Wir haben oft das Gefühl, dass wir wie Hamster sind, die sich im Laufrad drehen, ohne wirklich weiter zu kommen, was gesamtstaatliche Institutionen angeht“, sagt Wehrschütz. Dies beginnt laut Wehrschütz mit der Akkreditierung für die ukrainische Seite der Kriegsgebiete in der Ostukraine. Zum einen kennt die Ukraine kein einheitliches Akkreditierungssystem für das gesamte Land für ausländische Journalisten. „Ich habe dem Informationsministerium immer gesagt, dass für uns eine Akkreditierung eine Hilfe wäre. Es besteht ja auf der anderen Seite ein beträchtliches Misstrauen: ‚Arbeitet der jetzt für Russland…‘. Da war es manchmal unangenehm, dass wir bis auf unsere eigenen Dokumente nichts hatten, und es von der Ukraine selbst nichts gibt.“

Das Fehlen eines landesweiten Akkreditierungssystems hat zumindest den Vorteil, dass wenn ein Journalist in der Ukraine berichten möchte, er sich größtenteils frei bewegen kann. Für das Parlament und die ukrainische Seite der Front werden allerdings sehr wohl Ausweise benötigt, dabei dauert die Bearbeitungsfrist für solche aber relativ lange. Die Akkreditierung für die ukrainische Front bekommt man normalerweise für sechs Monate. Der Haken: Die Frist läuft ab dem Zeitpunkt, ab dem man die Anfrage gestellt hat. Es kann also gut sein, dass die Akkreditierung nach Erhalt bereits nicht mehr so lange gültig ist. „Wir können sehr schwer planen. Wenn ich im Vorjahr eine Akkreditierung hatte, hatte mein Team keine. Dann mussten wir einen anderen Kameramann suchen. Es gibt viele bürokratische Hindernisse.“ Damit verbunden sei das Problem der Unvorhersehbarkeit und der Planbarkeit, wobei es auch positive Überraschungen gebe. Nach der Aufhebung des Einreiseverbots Mitte April habe er am Karfreitag neuerlich um eine Akkreditierung für die Kriegsgebiete der Ostukraine angesucht. Am Ostersonntag war die Stichwahl um Präsidentenamt. „Am Mittwoch nach Ostern hatte ich die Akkreditierung in Händen, die nun wirklich sechs Monate gültig ist“, freute sich Wehrschütz.

Die Hürden sind aber nicht auf die Akkreditierung beschränkt. Zum Beispiel als Wehrschütz eine Dokumentation zu der Entwicklung der ukrainischen Staatsbahnen drehen wollte, wurde ihm als Ausländer der Zugang zu dem Gebäude verwehrt. Auch militärische Objekte dürfen ausländische Journalisten nur mit Sondergenehmigung betreten. Die bürokratischen Probleme seien dabei themenunabhängig. „Es ist keine Frage eines heiklen Themas. Das Komplizierte liegt in den Abläufen“, so Wehrschütz.

Verhängung des Einreiseverbots kam überraschend

Bereits seit Dezember 2018 besaß Wehrschütz keine Akkreditierung für die Frontlinie auf ukrainischer Seite mehr, die Erneuerung des Ausweises wurde ihm verweigert – ohne Angabe von Gründen.

Das im März verhängte Einreiseverbot war für Wehrschütz dennoch nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil: Auf die Frage hin, ob der Journalist mit einer derartigen Restriktion gerechnet hatte, reagierte er so: „Damit habe ich nicht gerechnet. Bevor das Einreiseverbot verhängt wurde, waren die Signale in die ganz andere Richtung. Mein Team aus Donezk hat die Akkreditierung für die ukrainische Frontlinie zwei Tage zuvor wiederbekommen.“

Dazu kommt, dass es mehrere offizielle Begründungen für das Einreiseverbot gab, die bedeutsam voneinander abwichen: Der SBU (Sicherheitsdienst der Ukraine) behauptete, Wehrschütz mit dem Verbot vor pro-russischen Provokateuren schützen zu wollen, während das Außenministerium, ohne jeglichen Beweis vorgelegt zu haben, Wehrschütz beschuldigte, ukrainische Gesetze in Bezug auf die Krim verletzt zu haben. „Das habe ich aber nicht“, stellte der Journalist klar. „Wenn man auf die Krim fährt, braucht man eine russische Akkreditierung, um dort tätig sein zu können. Zusätzlich brauche ich ein russisches Visum und eine Sondergenehmigung der ukrainischen Behörden.“

Das Einreiseverbot betraf nicht nur Korrespondententätigkeit von Wehrschütz: Er besitzt eine Wohnung und ein Büro in der Ukraine. Als er von dem Einreiseverbot erfahren hat, war er in Wien gewesen. „Zuerst waren es Gerüchte auf Facebook von einer Abgeordneten, die zu Petro Poroshenko gehört. Dann kam ein Anruf vom Außenministerium in Wien“, erzählt Wehrschütz. Erst als nach einer Stellungnahme verlangt wurde, kam die Begründung schriftlich. „Überraschend sei das Einreiseverbot natürlich auch für mein gesamtes Team in der Ukraine gewesen; es habe trotzdem kühlen Kopf bewahrt, habe aufopfernd gearbeitet, und das sei sehr wichtig für die professionelle Berichterstattung über den ersten Wahlgang gewesen“, erinnerte sich Wehrschütz.

Dank an alle NGOs und insbesondere an Karin Kneissl und die Botschaft

Das Einreiseverbot wurde nicht nur vom österreichischen Außenministerium kritisiert, sondern auch von internationalen Pressefreiheitsorganisationen. IPI bezeichnete das Verbot als Angriff auf die Pressefreiheit und meldete den Fall bei der Plattform des Europarates zum Schutz des Journalismus. Auch die OSZE habe sehr kritisch reagiert. „Ich möchte an dieser Stelle bei allen NGOs, aber insbesondere auch bei Außenministerin Karin Kneissl bedanken, die meinen Fall auch auf internationale Ebene thematisiert und auch gegenüber der Ukraine klar Stellung bezogen hat. Sie war mir eine enorme Hilfe; viel geleistet hat auch die österreichische Botschafterin in Kiew, Hermine Poppeller, die sich ebenso sehr für mich eingesetzt hat. Hinzu kamen noch Bekannte aus Österreich und der Ukraine, sowie natürlich auch meine ukrainischen Anwälte“, betonte Wehrschütz.

Nach dem Interview mit IPI wurde das Einreiseverbot am 12. April aufgehoben. IPI Deputy Director Scott Griffen begrüßte die Entscheidung: „Das gegen Christian Wehrschütz verhängte Einreiseverbot hat ein gänzlich falsches Signal in Bezug auf die ukrainische Medienfreiheit gesendet. Wir sind froh, dass die Regierung diese Entscheidung nun rückgängig gemacht hat. Wir fordern die Ukraine dazu auf, ausländische Journalisten frei von jeglichen Einschränkungen berichten zu lassen.“

Ist für Wehrschütz denn alles geklärt? „Nunmehr ja; ob sich allerdings an der Bürokratie etwas ändere, könne nur die Zukunft weisen.“

Wehrschütz musste sich nach dem Zwischenfall mit einigen Interviewanfragen auseinandersetzen, der Großteil davon aus Russland. „Ich habe alle solche Interviewanfragen abgelehnt. Das hätte ja nur mehr Öl ins Feuer gegossen. Ich bin ja nicht dazu da, um der Ukraine zu schaden, sondern dazu, dass ich aus der Ukraine berichte und ein realistisches Bild der Lage bringen kann.“

„Es hat hier sehr viele Anschuldigungen aus der Öffentlichkeit gegeben, die völlig haltlos waren. Ich bin auch beschuldigt worden, ich sei in die Kriegsgebiete über russisches Territorium eingereist. Was ich in den fünf Jahren, die ich in der Ukraine tätig bin, nie gemacht habe“, so Wehrschütz. Dies lasse sich laut dem Journalisten leicht überprüfen, denn wenn man über Kontrollposten fährt, wird man sofort registriert. „Das ist sehr unangenehm, aber das ist ein Teil des Wesens der sozialen Netzwerke. Es wird etwas abgesondert, was mit der Realität nichts zu tun hat. Das gilt aber nicht nur für die Ukraine. Intellektuell tief blicken lässt allerdings der Umstand, dass Personen jemanden in sozialen Medien ‚Pest und Cholera‘ an den Hals wünschen, obwohl die überwältigende Mehrheit dieser Nutzer aus Mangel an Kenntnissen der deutschen Sprache nicht in der Lage sind auch nur zu verstehen, was ich berichtet habe“, betonte Wehrschütz.