Die Verhaftung und andauernde Inhaftierung des ägyptischen Fotojournalisten Mahmoud Abu Zeid zeigen, wie schnell der einfache Akt des Fotografierens, zumindest aus Sicht der ägyptischen Behörden, zu einem Verbrechen werden kann. An seinem Fall zeigt sich auch, welches Berufsrisiko JournalistInnen in manchen Teilen der Welt tragen.
Abu Zeid, auch bekannt unter dem Namen Shawkan, ist seit 2013 im Tora Gefängnis inhaftiert, eine Freilassung ist derzeit nicht in Sicht. Er ist einer der vielen JournalistInnen, welche die ägyptische Regierung nach dem Staatsstreich von 2013 für die Ausübung ihres Berufs ins Gefängnis sperrte. Als freiberuflicher Fotograf arbeitete Shawkan für verschiedene Fotoagenturen, unter anderem auch Demotix. Als die Revolution des Arabischen Frühlings 2011 in Ägypten ankam, fing er an, die Proteste und Demonstrationen fotografisch zu dokumentieren.
Eine Leidenschaft fürs Fotografieren
Shawkans Bruder, Mohamed, erzählte in einem Interview mit dem International Press Institute (Internationales Presse Institut, IPI), dass sein Bruder die Liebe zum Fotografieren und zum Journalismus während seiner Schulzeit in Kairo entdeckte, wo er erste Erfahrungen als Hobbyfotograf sammelte. Nach seinem Abschluss studierte er eine Zeit lang Philosophie an der Universität, brach das Studium aber schließlich ab. Während dieser Zeit steckte er immer mehr Energie ins Fotografieren und investierte viel Geld in Fotoausrüstung, ohne damit selbst Geld zu verdienen.
Letztlich widmete er sich dann aber doch ganz seiner Leidenschaft. Shawkan zog in die Küstenstadt Alexandria um mit mehreren Nachrichtenagenturen zu arbeiten, er schrieb Artikel und machte Fotos. Neben seiner eigentlichen journalistischen Arbeit hielt er auch gern den Lebensalltag der Menschen fest. Er lief durch die Straßen, sprach mit den Menschen und fotografierte sie.
Nach einer Weile als Vollzeitjournalist in Alexandria kehrte Shawkan nach Kairo zurück, um freiberuflich zu arbeiten. In der aufkommenden Revolution sah er eine vielversprechende Möglichkeit für Arbeit.
Die politischen Entwicklungen in Ägypten, befeuert durch die Revolution des Arabischen Frühlings, endeten aber nicht mit der Absetzung des früheren Präsidenten Hosni Mubarak. Schon im August 2013 gab es eine große Sitzblockade auf dem Rabaa-al-Adawija-Platz in Kairo. Anhänger von Mohamed Mursi, der nach der Revolution zum Präsidenten gewählt worden war, besetzen den Platz, nachdem Mursi vom Militär des Amtes enthoben wurde. Befehlshaber der ägyptischen Armee war damals General Abd-al Fattah as-Sisi, der heutige Präsident Ägyptens.
Am 14. August 2013 ordnete die Armee an, den Platz zu räumen. Shawkan entschied sich, dies fotografisch zu dokumentieren. Sein Bruder warnte ihn vor den möglichen Folgen, Shawkan antwortete nur: „Das ist mein Leben und mein Job.“
Laut Human Rights Watch war die Räumungsaktion am Rabaa-al-Adawija-Platz eine der brutalsten Angriffe gegen die Zivilbevölkerung der jüngeren Geschichte, bei der mehr als 800 Zivilisten ums Leben kamen. Hunderte wurden verhaftet, hauptsächlich DemonstrantInnen, aber unter ihnen waren auch einige JournalistInnen und AktivistInnen. Das Militär benutzte Helikopter, scharfe Munition, Tränengas und Wasserwerfer um die DemonstrantInnen zu verjagen und zerstreuen. Die Zelte und Hütten, welche während den Demonstrationen errichtet worden waren, wurden verbrannt. Laut Augenzeugen glich der Platz einem Kriegsgebiet.
Auch Shawkan wurde verhaftet, als er versuchte, die drastischen Entwicklungen auf dem Platz fotografisch festzuhalten. Mohamed wartete Zuhause auf seine Rückkehr. Als diese ausblieb, ging er zur Polizeiwache in Nasr City, dem Stadtteil Kairos, in dem die Proteste stattfanden, und suchte dort vergeblich nach seinem Bruder. Kurze Zeit später gelang es Shawkan seinen Bruder anzurufen, und ihm mitzuteilen, dass er in den Stadionkomplex Kairos gebracht worden war. Er warnte seinen Bruder auch eindringlich davor dort aufzutauchen, da er sonst seine eigene Verhaftung riskieren würde.
Nachdem das Militär die Situation am Rabaa-al-Adawija-Platz im Griff hatte, wurde Shawkan in das Gefängnis Abu Zabaal gebracht. Seine Familie erfuhr dies erst Wochen später durch einen Telefonanruf. Shawkan war zunächst mehrere Monate lang in Abu Zabaal inhaftiert, dann wurde er in das Tora Gefängnis verlegt, wo er bis heute einsitzt. Seine Familie darf ihn im Tora Gefängnis zwar besuchen, trotzdem werden die Besuche von den Behörden aus „Sicherheitsgründen“ oft untersagt.
Gesundheitliche Probleme im Gefängnis
Seit zwei Jahren sitzt Shawkan jetzt schon in Untersuchungshaft. Im März 2016 war er offiziell in ein Gerichtsverfahren miteinbezogen, das die Zerschlagung der Sitzblockaden am Rabaa-al-Adawija Platz behandelte. Die Angeklagten in diesem Verfahren waren größtenteils Mitglieder der Muslimbrüder oder Organisatoren der Sitzblockade, unter ihnen aber auch einige, die unabhängig von den Organisatoren einfach nur an der Sitzblockade teilgenommen hatten, so wie Shawkan.
Obwohl er ganz einfach seinen journalistischen Instinkten folgte, und dieses berichtenswerte Ereignis fotografisch festhalten wollte, war Shawkan letztendlich zur falschen Zeit am falschen Ort.
In mehreren Interviews mit den ägyptischen Medien betonten Shawkans Freunde und Familie immer wieder, dass er einfach ein Fotoreporter ist, ohne dabei eine bestimmte politische Position zu vertreten. Sie betonten, dass er vor allem von den Muslimbrüdern immer wieder Abstand genommen hatte, und wiesen sogar auf Anti-Mursi Aufkleber und Flugblätter in seinem Zimmer hin.
Da die meisten der Angeklagten im Rabaa-Sitzblockaden-Fall politische Gegner des aktuellen Regimes sind, scheint es, als wären ihre Chancen auf ein freies und gerechtes Gerichtsverfahren eher gering. In der Vergangenheit hatte sich die Politik oftmals in Gerichtsverfahren eingemischt. JournalistInnen wie Shawkan befinden sich zwischen den Fronten eines politischen Kampfes, der zwischen der Regierung und ihren Gegnern tobt.
Die Angeklagten in solch politisch aufgeladenen Gerichtsverfahren vor der ägyptischen Staatsanwaltschaft zu verteidigen, ist für die Anwälte eine große Herausforderung Regelmäßig wird ihnen der Einblick in die Akten, oder der Zugang zu ihren Mandanten verwehrt, oftmals beschweren sich die Anwälte über unkooperative Behörden. Das sprunghafte Verhalten der Gerichtsbeamten macht es für Shawkans Anwalt schwierig, zukünftige Entwicklungen im Verfahren zu antizipieren, wie Shawkans Bruder dem IPI mitteilte. „Einige Forderungen werden gewährt, andere werden ignoriert – man kann es nie genau sagen“, sagte er.
Abgesehen davon sind die Bedingungen in ägyptischen Gefängnissen nicht gerade einfach. Die Familie und MenschenrechtsaktivistInnen haben Shawkans Situation als „schwierig“ und „unmenschlich“ beschrieben. Viele der politischen Gefangenen erhalten keine medizinische Versorgung, oder ihnen wird der Zugang dazu verwehrt. Laut Human Rights Watch sind im Jahr 2015 mindestens sechs Gefangene im „Skorpion“ (Spitzname des Tora-Gefängnis) aufgrund von fehlender medizinischer Behandlung verstorben. Da das Gefängnis selbst über keine Krankenstation verfügt, hätten die Gefangenen in ein Krankenhaus gebracht werden müssen. Die Gefängnisbeamten verweigerten dies aber, was letztendlich zum Tod der Gefangenen führte.
Seit seiner Inhaftierung hat sich Shawkans Gesundheitszustand drastisch verschlimmert. Er zog sich eine Infektion mit Hepatitis C zu, und leidet unter den Folgen von mangelhafter Ernährung und Anämie.
Trotz all dem ist es nicht Shawkans gesundheitlicher Zustand, der seiner Familie die größten Sorgen bereitet. „Gesundheitlich geht es ihm schon okay, aber psychisch ist er in einer schwierigen Lage“, sagte Mohamed. Die schlechten Verhältnisse und die fehlende Betreuung haben Shawkan in eine Depression getrieben.
‚Einfach nur ein ägyptischer Journalist’
Ein Brief, den Shawkan verfasst hat, wurde im Dezember 2015 aus dem Gefängnis geschmuggelt. In ihm schreibt er, dass Ägypten die Bedeutung des Wortes „Gerechtigkeit“ vergessen hat, und dass er angesichts seiner Situation „von Hoffnungslosigkeit erfüllt“ ist.
In einem anderen Brief nannte er seine ägyptische Staatsbürgerschaft als einen der Faktoren für seine nicht enden wollende Untersuchungshaft. Zwei ausländische Journalisten, Mike Giglio und Louis Jammes, arbeiteten am Tag der Rabaa-Platz-Zerschlagung mit Shawkan zusammen. Alle drei wurden verhaftet und zusammen in das Stadion gebracht. Obwohl auch Giglio und Jammes verhört worden waren, hatte man sie einige Stunden später wieder frei gelassen. Shawkan hingegen sitzt immer noch im Gefängnis.
„Das Problem ist, dass ich Ägypter bin. Einfach nur ein ägyptischer Journalist“, schrieb er in dem Brief.
Mehrere Nachrichtenagenturen, JournalistInnen und internationale Menschenrechtsgruppen haben die Freilassung Shawkans verlangt. Unterstützer haben bereits Demonstrationen und Initiativen organisiert, um Aufmerksamkeit auf die Situation Shawkans, und die Situation aller JournalistInnen in Ägypten zu ziehen, und sie zu unterstützen.
„Durch diese Unterstützung,” schrieb Shawkan in seinem Brief, „fühle ich mich nicht alleine.“
Aus dem Englischen übersetzt von Benedikt Stuck