Liebe IPI-Mitglieder, KollegInnen und Freunde,
Wie Sie vielleicht wissen, wurde ich Ende Oktober letzten Jahres verhaftet und in Istanbuls berüchtigtes Gefängnis Silivri gebracht, zusammen mit acht anderen Kollegen der Tageszeitung Cumhuriyet. Dies war ein willkürlicher politischer Akt mit dem Ziel, die Zeitung, für die ich Kolumnen schrieb und als redaktioneller Beirat tätig war, mundtot zu machen.
Ich wurde schließlich nach 11 Monaten Haft aus dem Gefängnis entlassen. Es ist großartig, wieder zur Gemeinschaft weltweiter VerteidigerInnen der Pressefreiheit zu gehören. Sie mit diesem Brief direkt erreichen zu können, ist ein wunderbares Gefühl.
Wir, die Cumhuriyet-Verteidiger, warteten fünfeinhalb Monate darauf, endlich den fertig ausgearbeiteten Strafantrag zu sehen. Danach warteten wir wieder dreieinhalb Monate bis zu unserem Erscheinen vor Gericht, um dort all den Unsinn und die Irrtümer, die in diesem Schriftsatz – der es nicht verdient, als juristisches Dokument bezeichnet zu werden – als Beweise angeführt wurden, widerlegen zu können. Man könnte das Dokument wohl auch als „Mockument“ bezeichnen.
Das Recht auf ein faires Verfahren wurde uns von Anfang an verweigert. Wir wurden schon durch diese lange Inhaftierung bestraft – egal, ob wir am Ende verurteilt werden oder nicht.
Es dauerte weitere zwei Monate, bis ich die unbestreitbaren Beweise dafür liefern konnte, dass der ganze Unsinn in diesem sogenannten Strafantrag, der zur Untermauerung der Beschuldigungen gegen mich dienen sollte, nichts mit der Realität zu tun hat.
Ich wurde des Verbrechens beschuldigt, „die redaktionelle Ausrichtung einer Zeitung an jene von mehreren Terrororganisationen gleichzeitig angenähert zu haben“, obwohl ich lediglich für 34 Tage vor meiner Verhaftung als redaktioneller Beirat der Zeitung tätig war.
Außerdem wurde mir vorgeworfen, eine Terrororganisation durch den Empfang von SMS-Nachrichten ihrer mutmaßlichen Anhänger unterstützt zu haben – Nachrichten, die unbeantwortet blieben. Des Weiteren wurde ich beschuldigt, offen und direkt Kritik am Präsidenten geübt und angeblich versucht zu haben, die Türkei als einen autoritären Staat darzustellen, weil ich eine Kolumne schrieb, in der ich die Anti-Tabak-Haltung des Präsidenten kritisierte.
Das Verfahren gegen uns war ein deutliches Zeichen dafür, dass sich die Türkei in ein autoritäres System verwandelt, was ich auch vor Gericht zu meiner Verteidigung sagte.
Zusammengefasst werde ich also beschuldigt, absichtlich und bewusst einer Terrororganisation geholfen zu haben, ohne Mitglied dieser Organisation zu sein. Die Staatsanwaltschaft fordert eine 15-jährige Haftstrafe. Die bittere Ironie ist, dass es allgemein bekannt ist, dass ich immer ein offener Kritiker dieser Organisation war.
Dieser Fall hat Schlagzeilen, Nachrichten, Kolumnen und Tweets kriminalisiert – mit einem Wort: den Journalismus. Das Ziel ist klar – den unabhängigen Journalismus in der Türkei – beziehungsweise das, was davon übrig ist – mundtot zu machen und auszurotten sowie alle Medienmacher, die noch nicht gänzlich hinter den politischen Machtverhältnissen im Land stehen, einzuschüchtern.
Der Druck, den internationale Organisationen für Pressefreiheit, insbesondere das IPI, ausübten, spielte eine tragende Rolle bei meiner Entlassung am 25. September und auch bei der Entlassung von sieben anderen inhaftierten Journalisten und Mitwirkenden von Cumhuriyet am 28. Juli am Ende der ersten Anhörung des Prozesses.
Sie verbrachten neun Monate im Gefängnis; Ich wurde 11 Monate dort festgehalten. Zu Unrecht.
Auch unsere Unterdrücker bezahlten einen hohen Preis für ihre willkürliche, ungerechte und unfaire Inhaftierung unabhängiger und kritischer Journalisten. Von ihrer Glaubwürdigkeit, ihrer Legitimität und Moral blieb nicht mehr viel übrig: Legitime Streitkräfte der internationalen Solidarität schlossen sich zusammen, um ihre Stimmen gegen unsere Ankläger zu erheben und zu betonen, dass wir wahre Journalisten und keine Terroristen seien. Sie haben unaufhörlich für uns gekämpft – mit Ausdauer und Entschlossenheit.
Insbesondere Sie, die Mitglieder des IPI, haben den Feinden der Pressefreiheit gezeigt, dass sie nicht damit durchkommen können, Journalisten zu verhaften. Sie haben gezeigt, dass Handlungen dieser Art moralische und politische Konsequenzen auf internationaler Ebene nach sich ziehen.
Ich bin mir sicher, dass Ihre Unterstützung mit der herannahenden nächsten Anhörung des Cumhuriyet-Prozesses am 31. Oktober noch stärker werden wird. Vier weitere Mitarbeiter der Cumhuriyet-Zeitung müssen noch aus dem Gefängnis befreit werden. Hierbei handelt es sich um Akın Atalay (Vorsitzender der Cumhuriyet Foundation), Murat Sabuncu (Cumhuriyet-Chefredakteur und IPI-Mitglied), Ahmet Şık (Investigativjournalist) und Emre İper (Buchhalter).
Aktuell sitzen sind noch 150 weitere Journalisten in der Türkei im Gefängnis – weit mehr als in anderen Ländern. Aus diesem Grund sollten wir der zunehmenden Verschlechterung der Pressefreiheit in diesem Land besondere Aufmerksamkeit schenken.
Ich möchte mich für Ihren unermüdlichen Einsatz und Ihre Unterstützung in unserem Fall bedanken.
Außerdem möchte ich betonen, wie erfreut ich war, als ich das erste Mal hörte, dass John [Yearwood, Vorstandsvorsitzender des IPI] das Büro der Cumhuriyet-Zeitung besuchte, nachdem wir verhaftet worden waren, und auch in jenem Moment, also ich Barbara [Trionfi, IPI-Geschäftsführerin], Markus [Spillmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender], Steven [Ellis, Leiter Advocacy und Kommunikation] und unsere Mitglieder des Nationalkomitees, Emre [Kizilkaya], Gülsin [Harman] und İpek [Yezdani] bei der Anhörung sah.
Ich bin stolz, einer von euch zu sein.
Ich bringe Ihnen meine volle Hochachtung und meine tiefste Bewunderung entgegen.
Kadri Gürsel
Aus dem Englischen übersetzt von Katja Deinhofer.