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In Zeiten einer globalen Gesundheitskrise ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Bürger Zugang zu einer zuverlässigen und zeitnahen Berichterstattung haben.

Eine ehrliche und transparente offizielle Kommunikation, die sich an ein lebhaftes und freies Medien-Ökosystem richtet, könnte zu einem ausgewogenen Informationsfluss führen, der das Bewusstsein schärft und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus erhöht, aber auch Probleme aufzeigen, die angegangen werden sollten, um die Pandemie effizienter zu bekämpfen. Das wiederum könnte buchstäblich Leben retten.

Die COVID-19-Pandemie drängte jedoch viele Regierungen in die entgegengesetzte Richtung: Das Virus wurde zur Durchführung restriktiver Maßnahmen und zur weiteren Untergrabung der Pressefreiheit eingesetzt. In Ungarn hat die Pandemie die Probleme eines für Journalisten ohnehin schon schwierigen Systems aufgezeigt und gleichzeitig neue Möglichkeiten geboten, der Öffentlichkeit Informationen vorzuenthalten.

Unabhängige Fragen bleiben unbeantwortet

Der Raum für unabhängigen Journalismus ist in Ungarn seit der Machtübernahme der derzeitigen Regierungspartei Fidesz im Jahr 2010 immer kleiner geworden. Im Jahr 2019 waren laut einer Analyse des Medienbeobachters Mérték fast 78 Prozent der Medien regierungsfreundlich, während der Zugang zu Informationen für unabhängige Journalisten immer schwieriger geworden ist. Die Presseabteilungen der öffentlichen Institutionen antworten in der Regel nicht auf ihre Fragen, und auch ihr Zugang zum Parlament und zu Pressekonferenzen ist eingeschränkt.

Als das Virus im März 2020 Ungarn heimsuchte, wurde der Zugang zu Informationen weiter eingeschränkt. Der offizielle Kommunikationskanal für alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Pandemie war auf eine tägliche Pressekonferenz beschränkt, die vom Gesundheitsminister online abgehalten wurde, wobei keine Live-Zuschauer zugelassen waren. Die Journalisten konnten ihre Fragen vor der Konferenz per E-Mail einreichen, aber Fragen von unabhängigen Medien werden nach wie vor selten beantwortet.

Der Kampf um öffentliche Informationen

Während journalistische Fragen von den Presseabteilungen leicht ignoriert werden, ist ein mächtiges Werkzeug in den Händen von Journalisten geblieben: das Informationsanfragensrecht (FOI) gegenüber Behörden.

Das ungarische Gesetz über die Informationsfreiheit erlaubt es den Bürgern, von den Behörden Daten über ihre Aktivitäten anzufordern und auch Informationen darüber zu verlangen, wie öffentliche Gelder ausgegeben werden. In der Regel müssen Institutionen einem FOI-Antrag innerhalb der kürzest möglichen Zeit, jedoch nicht länger als 15 Tagen, nachkommen. Eine Verlängerung um weitere 15 Tage ist im Falle einer großen Datenmenge zulässig.

In der Praxis können Institutionen jedoch die Beantwortung von FOI-Anfragen auf verschiedene Weise vermeiden. Ersuche können beispielsweise abgelehnt werden, wenn die Informationen als persönliche Daten, Geschäftsgeheimnisse oder vertrauliche Informationen eingestuft werden. Die Behörden können auch argumentieren, dass sie einfach nicht über die angeforderten Daten verfügen, und seit 2015 haben sie auch das Recht, Gebühren zu erheben, wenn die Beantwortung der Anfrage „einen unverhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand” für ihre Mitarbeiter bedeutet.

Wenn ein FOI- Antrag abgelehnt wurde, kann die Entscheidung nur vor Gericht angefochten werden. Ein solches Verfahren, das erhebliche finanzielle Mittel und juristischen Beistand erfordert, kann sich über Monate oder sogar Jahre hinziehen. Obwohl die Richter in der Regel die Veröffentlichung der Daten befürworten, könnten die Informationen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits irrelevant oder veraltet sein.

Verzögern und Rosinen herauspicken

Obwohl ein Strom an zuverlässigen Informationen während einer globalen Pandemie lebenswichtig ist, ermöglichte ein Erlass der ungarischen Regierung noch schwerfälligere FOI-Prozesse. Während des Ausnahmezustands (der bis Mitte Juni andauerte) hatten ungarische Institutionen maximal 90 statt 30 Tage Zeit, um FOI- Anfragen zu beantworten, falls die Einhaltung der kürzeren Frist „die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben der [betreffenden Institution] im Zusammenhang mit dem Notfall gefährden könnte”.

Aufgrund dieser Möglichkeit verlängerte das Theater von Győr (eine Stadt im Nordwesten Ungarns) die Frist einer bereits laufenden FOI- Anfrage über den Zustand seines Gebäudes auf 45 Tage. Aber auch ohne eine Fristverlängerung hatten die Journalisten Mühe, vollständige Antworten auf ihre FOI-Anfragen zu erhalten.

Nachdem sie um Verträge über den Kauf von Beatmungsgeräten gebeten hatten, erhielten die hvg.hu-Journalistinnen Babett Oroszi und Judit Windisch einige Dokumente innerhalb einer Frist von 30 Tagen. Sie erhielten jedoch nicht die Anhänge der Verträge, die wichtige Informationen enthalten hätten, und einige ihrer Fragen blieben völlig unbeantwortet.

„Im Allgemeinen kann ich sagen, dass die Institutionen während der Pandemie FOI-Anfragen  auf ähnliche Weise beantworten wie zuvor: Es ist sehr selten, dass wir innerhalb von 15 Tagen eine Antwort erhalten. Sie teilen nur mit, was sie wollen, und wenn wir tiefer graben wollen, geben die Institutionen keine richtige Antwort”, erklärte Oroszi.

Zoltán Haszán, ein Journalist der Nachrichtenwebsite 444.hu, machte eine ähnliche Erfahrung, als er beim Außenministerium Daten über den Kauf von Beatmungsgeräten anforderte. Obwohl es die Möglichkeit gegeben hätte, die Frist auf 90 Tage zu verlängern, antwortete das Ministerium innerhalb von 15 Tagen – es beantwortete jedoch nur einige der Fragen und ignorierte andere völlig.

Als Ungarn am 18. Juni den Ausnahmezustand aufhob, hat sich die FOI-Frist wieder normalisiert. Allerdings bleiben bereits existierende Probleme bestehen. Und jetzt trifft Ungarn die zweite, noch tödlichere Welle des Virus – was die dringende Notwendigkeit eines rechtzeitigen und genauen Zugangs zu Informationen weiter unterstreicht.

Aus dem Englischen von Julia Rieser übersetzt


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