Das Leben des Investigativjournalisten Tomasz Piątek, Mitarbeiter der Zeitung „Gazeta Wyborcza“, änderte sich schlagartig, nachdem er im Juni ein Buch über den polnischen Verteidigungsminister und seine vermeintlichen Verbindungen zu dubiosen russischen Kreisen veröffentlicht hatte. In einem Interview mit dem International Press Institute (Internationales Presseinstitut, IPI) in Warschau diesen Monat sprach er über die „absurde“ Strafanzeige des Ministers gegen ihn – und ihre weiteren Folgen für den Journalismus in Polen.
Piąteks Buch ist das Ergebnis einer 18 Monate langen Recherchetätigkeit, sowohl im Internet als auch in Archiven und Interviews, und beschäftigt sich mit Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).
„Macierewicz und seine Geheimnisse“ beschreibt die vermeintlichen politischen und finanziellen Beziehungen des Ministers zu Kreml-nahen Personen sowie zu russischen Nachrichtendiensten und kriminellen Organisationen. Seit der Veröffentlichung wurde das Buch 200.000 Mal verkauft.
Ende Juni bat das Ministerium die Abteilung für militärische Angelegenheiten der Staatsanwaltschaft Polen, Ermittlungen gegen Piątek bezüglich „Gewalt oder illegaler Drohungen“ und „öffentlicher Beleidigungen gegen eine Verfassungsautorität der Republik Polen“ einzuleiten. Das militärische Vorgehen gegen Piątek, einen Zivilisten, sorgte für hochgezogene Augenbrauen. Wie er selbst sagt, sei er weder wegen Verleumdung zivilrechtlich angeklagt worden, noch liege eine Anklage der Staatsanwaltschaft vor, was zu einer Überprüfung des Wahrheitsgehaltes hinsichtlich des Buchinhalts geführt hätte.
„Der einzige Sinn und Zweck ist es, mich und andere Journalisten einzuschüchtern“, erklärte Piątek kürzlich während des IPI-Interviews.
Wie das IPI bereits am Beginn des Falles berichtete, zieht das Ministerium drei strafrechtliche Bestimmungen für die Untersuchung Piąteks heran. Erstens: „Jede Person, die Gewalt oder eine illegale Drohung mit der Intention nutzt, eine/n Regierungsbeamten/Regierungsbeamtin oder seine/ihre Assistenz von ihrer politischen Arbeit abzuhalten oder zu behindern, ist mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren zu verurteilen“ (Art. 224). Zweitens: „Jede Person, die eine Verfassungsautorität der Republik Polen öffentlich beleidigt oder ihren Ruf schädigt, ist mit einer Geldstrafe, einer Freiheitsbeschränkung oder einer Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren zu verurteilen“ (Art. 226). Und schließlich drittens: „Der rechtliche Schutz von RegierungsbeamtInnen während der Ausübung ihrer Regierungstätigkeit oder der damit in Verbindung stehenden Aktivitäten gilt auch, wenn ein gesetzeswidriger Angriff aufgrund seines/ihres Berufes oder seiner/ihrer Position vorgenommen wird. (Art. 231a).
Das IPI schloss sich neun anderen internationalen Journalistenverbänden, sowie Verbänden für freie Meinungsäußerung an und unterstützte sie dabei, den Minister dazu zu drängen, seine Strafanzeige zurückzuziehen – mit der Begründung, dass es „absolut keinen Grund dafür gibt, einen Zivilisten aufgrund seiner journalistischen Tätigkeiten und Veröffentlichungen vor ein Militärgericht zu stellen“. Diese Organisationen stellten fest, dass der Minister auch über andere Mittel verfüge, Behauptungen abzustreiten, die aus seiner Sicht falsch sind.
Piątek beteuert, dass die Klage des Ministers „absurd“ sei. In Bezug auf eine vermeintliche „Gewaltanwendung“, die sich auf einen Anklagepunkt unter Art. 224 stützt, betont er, dass er den Minister, der jeglichen Kontakt – auch einen E-Mail-Austausch – mit ihm vermieden habe, niemals getroffen habe.
„Der Minister greift auf staatliche Mittel zurück, um seine Beziehungen zu schützen“, sagt Piątek.
Indem er sich auf Art. 226 stützt, setze der Minister seine Person mit einem Verfassungsorgan gleich. Piąteks Buch konzentriere sich allerdings auf Macierewicz selbst, anstatt auf seine Position als Verteidigungsminister oder auf das Ministerium.
Die Klage ist laut Piątek nicht nur absurd, sondern auch gefährlich.
„Sie schafft einen beängstigenden Präzedenzfall“, sagt er, und erklärt, dass bisher noch niemand Beschwerde gegen einen Journalisten bei der Militärstaatsanwaltschaft eingelegt hat. „Dies zeigt BürgerInnen, BloggerInnen und JournalistInnen, dass sie kein Interesse an den Beziehungen des Ministers zu Russland haben sollten“.
In der Zwischenzeit wurde Piątek Opfer weiterer Schikanen. Eines Abends im Juli betraten Männer in Polizeiuniformen die Wohnung seiner Eltern, wobei sie sich weigerten, einen Durchsuchungsbefehl oder ein Dienstabzeichen vorzulegen. Die Männer behaupteten, auf der Suche nach Einbrechern zu sein, und sagten schließlich, dass sie die falsche Wohnungsnummer hätten, woraufhin sie gingen.
Piątek wurde auch zur Zielscheibe von persönlichen Angriffen in privaten Medien, die den Minister unterstützen.
„Überall wird Druck auf mich ausgeübt – vor Gericht, außerhalb des Gerichts, durch unerwartete Angriffe, Störgeräusche bei Telefonaten und durch Versuche, mich lächerlich zu machen“, erklärte er dem IPI. „Diese Mischung ist ein Rezept, um eine Person zu zerstören“.
Piątek drohen aufgrund der Anklagepunkte bis zu drei Jahren Haft. Vier Monate seien nun seit der Einreichung der Beschwerde vergangen, und er habe noch immer keine formale Benachrichtigung oder Vorladung bekommen. Der Fall wurde inzwischen an die Warschauer Staatsanwaltschaft übergeben. Piątek betont, dass er auch über diese Änderung nicht informiert worden sei, sondern nur über Medienberichte davon erfahren habe.
„Alles und doch wieder nichts passiert gleichzeitig“, sagt er und fügt hinzu, dass er sich aktuell in einem Zustand befindet, in dem ständig ein Damoklesschwert über ihm schwebt.
Aus dem Englischen übersetzt von Katja Deinhofer.