Die Pressefreiheit in Ungarn steht erneut unter Beschuss. Der Chefredakteur von Index.hu, dem größten und einflussreichsten Medium der noch verbliebenen unabhängigen Nachrichtendienste des Landes, wurde Anfang dieser Woche entlassen, nur einen Monat nachdem das Nachrichtenportal erklärt hatte, dass seine Unabhängigkeit durch Druck von außen gefährdet sei. Heute traten die gesamte Redaktion und 70 weitere Journalisten aus Protest von Index.hu zurück, weil eine rote Linie überschritten worden sei. Lassen Sie sich nicht täuschen: Dies ist ein verheerender Schlag für den Journalismus in Ungarn.

Wir sprechen hier nicht von irgendeinem anderen unabhängigen Medium. Index ist (war) ein Bollwerk. Die Website war Ungarns größtes Nachrichtenportal mit schätzungsweise 1 Million täglichen Nutzern. Sie macht fast die Hälfte aller Seitenaufrufe bei unabhängigen Medien aus. Es überrascht nicht, dass sie das aber auch zum Ziel macht. Es wurde heftig darüber spekuliert, wann die FIDESZ und ihre Verbündeten gegen Index vorgehen würden.

Für ungarische Medienbeobachter folgt der Wirbel um Index einem allzu vertrauten Muster, das IPI bereits früher dokumentiert hat. Die ungarische Regierung hat nie versucht, die Medien offen zu unterdrücken. Es gibt keine inhaftierten Journalisten, keine dramatischen Razzien in den Redaktionen, keine erfundenen Strafverfolgungen; physische Gewalt gegen die Presse ist selten. Stattdessen hat Viktor Orbáns FIDESZ-Partei einen viel kalkulierteren, schleichenderen Weg eingeschlagen, um den Informationsfluss zu kontrollieren. Unabhängige Kanäle werden durch die Manipulation des Medienmarktes seitens der Regierung zunächst von finanziellen Mitteln abgeschnitten und dann, sobald sie geschwächt sind, in die Hände von regierungsfreundlichen Eigentümern übergeben, die ihnen den endgültigen Todesstoß versetzen, Redakteure verdrängen und die redaktionelle Linie umkehren. Die leeren Hüllen werden entweder geschlossen (Népszabadság, abrupt geschlossen von Orbán-verbündeten Investoren im Jahr 2016) oder in Pro-Orbán-Sprachrohr verwandelt (die oft zitierte, einst so stolze kritische Nachrichtenseite Origo, die dem deutschen Eigentümer aus Händen genommen und ins Gegenteil umgewandelt wurde). So wird die Pressefreiheit in Europa im Jahr 2020 eliminiert.

Dieses System hat Orbán und der FIDESZ gute Dienste geleistet und ihr Bedürfnis nach glaubhafter Abstreitbarkeit befriedigt. Trotz des aggressiven Rückgangs der Medienfreiheit in Ungarn in den letzten zehn Jahren und der Errichtung eines gehorsamen, regierungsfreundlichen Medienimperiums hat die EU wenig getan, um eine Regierung zu zügeln, die der autoritären Türkei oder Russland sehr viel ähnlicher ist, als dem demokratischen Ideal der EU. Die Tatsache, dass sich die Staats- und Regierungschefs der EU nicht auf einen starken Mechanismus einigen konnten, der die Finanzierung an die Rechtsstaatlichkeit bindet, rechtfertigt Orbáns Strategie nur.

Wie andere unabhängige Medien in Ungarn wurde Index wirtschaftlich erstickt. Obwohl die Wirtschaftskrise im Zusammenhang mit Covid offensichtlich nicht hilft, haben die Jahre, in denen die Regierung Index und anderen kritischen Kanälen staatlich finanzierte Werbung vorenthielt und kommerzielle Werbetreibende unter Druck setzte, sich fernzuhalten, ihren Tribut gefordert.

Gleichzeitig begannen die Verbündeten der FIDESZ langsam, die komplexe Eigentums- und Managementstruktur von Index zu infiltrieren. Das Unternehmen befindet sich im direkten Besitz einer Stiftung, die seine Unabhängigkeit schützen soll. Die Schattenseite hierbei ist ein Unternehmen, Indamedia, das die Werbung von Index kontrolliert. Anfang dieses Jahres wurde eine Kontrollbeteiligung an Indamedia von Miklós Vaszily erworben, einem Geschäftsmann mit engen Verbindungen zu Orbán, der eine Schlüsselrolle beim Aufbau der loyalen Medienarmee der FIDESZ gespielt hat, insbesondere durch die Orchestrierung der Übernahme von Origo. Vaszilys Fuß in der Tür war genug, die Zeit war gekommen. Indamedias umstrittene Geschäftspläne für Index, die von den Journalisten als Versuch gesehen wurden, seine redaktionelle Unabhängigkeit zu untergraben, lösten die gegenwärtige Abfolge von Ereignissen aus.

Index könnte geschlossen werden. Oder es könnte angesichts seiner Marktführerschaft überleben, ja sogar einen Teil seiner kritischen Stimme bewahren dürfen – aber möglicherweise gerade genug, um Orbán zu ermöglichen, sie als Beweis für die Existenz der Pressefreiheit in Ungarn anzuführen, ohne die Macht der FIDESZ wirklich zu gefährden.

Die Ereignisse dieser Woche mit Index sind dramatisch und herzzerreißend. Aber sie stellen keine Anomalie dar. Ein weiteres Medienunternehmen ist dem Orbán-Modell zum Opfer gefallen, einem hocheffizienten und cleveren System der Medienerfassung, das Ungarns EU-Partner entweder nicht verstehen oder nicht verstehen wollen, geschweige denn aufhalten. In der Zwischenzeit wird die FIDESZ weiterhin ihre großzügigen Schecks aus Brüssel entgegennehmen. Das ist nichts Neues.

Aus dem Englischen von Julia Rieser übersetzt