Read in English

Am Morgen des 4. Oktober 2017 wachten die eine Million Einwohner von Thessaloniki, Griechenland, in einer Stadt ohne große lokale Tageszeitung auf.

In der Nacht davor stellte die renommierte Zeitung Makedonia samt ihres Wochenblattes, Thessaloniki, nach einer langen, dunklen Periode des Konfliktes zwischen den Angestellten der Zeitung und dem Management um unbezahlte Gehälter ihre Arbeit ein. Makedonia wurde im Jahre 1911 gegründet und war somit die älteste Tageszeitung in Nordgriechenland.

Parallel dazu hatte Aggelioforos, Thessalonikis auflagenstärkste Zeitung, auch schon zwei Jahre früher, im Oktober 2015, ihre letzte Ausgabe gedruckt und ihre Arbeit endgültig eingestellt. Dadurch wurden 110 Menschen arbeitslos.

Diese zwei Schließungen haben die Medienlandschaft Thessalonikis, Griechenlands zweitgrößter Stadt, drastisch verändert. Übrig bleiben heute nur mehr wenige Lokalzeitungen mit sehr geringen Auflagen, zusätzlich zu einer Handvoll Boulevardzeitungen. Die Redaktionen dieser Zeitungen sind, was das Personal betrifft, unterbesetzt und ihre verbliebenen JournalistInnen haben nur wenig Zeit, lokale PolitikerInnen zu überwachen, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.

Ein Teufelskreis

Zweifel an der Lebensfähigkeit der Zeitung Makedonia waren schon lange ein offenes Geheimnis unter Thessalonikis JournalistInnen.

„Wenn ich mich richtig erinnere, wurde uns vor sieben Jahren mitgeteilt, dass die Auflagenzahlen der Zeitung sehr niedrig wären und Werbeeinnahmen nicht ausreichen würden, um die Zeitung am Leben zu erhalten“, sagte Nikoletta Bouka, eine Journalistin der ehemaligen Zeitung, kürzlich in einem Interview mit dem International Press Institute (Internationales Presseinstitut, IPI).

Bis zum Ende des Jahres 2011 hatten die JournalistInnen der Zeitung bereits fünf Monate lang kein Gehalt bekommen. Sie beschlossen, sich eine gesetzliche Regelung zu Nutze zu machen, die es ArbeitnehmerInnen erlaubt, so lange nicht zur Arbeit zu erscheinen, bis sie das Geld, das ihnen zusteht, bekommen.

John P. Rigas, dem in den USA lebenden Besitzer der Zeitung, wurde ein Darlehen von 10 Millionen Euro gewährt, woraufhin er mit den JournalistInnen über die Wiederaufnahme ihrer Arbeit verhandelte. Dieses Gefühl der Hoffnung währte aber nur kurz. Das Management der Zeitung kündigte fast die Hälfte der MitarbeiterInnen und kürzte die Gehälter um 30 Prozent.

Trotz dieser drakonischen Kostensenkungen dauerten die finanziellen Probleme von Makedonia an. Nach 18 Monaten ohne Bezahlung und ohne Wissen über die Zukunft der Zeitung beschlossen die verbliebenen MitarbeiterInnen vergangenen Oktober, dem Teufelskreis, in dem die Zeitung steckte, ein Ende zu setzen. Mit der Unterstützung des griechischen Verbandes ESIEMTH (Verband der RedakteurInnen der Tageszeitungen Makedoniens und Thrakiens) entschlossen sie sich erneut dazu, der Arbeit fernzubleiben – eine Entscheidung, die dieses Mal zur Schließung der Zeitung führte.

„Fühlt sich an wie das Ende der lokalen Presse“

In den vergangenen zwei Jahren haben die verbliebenen JournalistInnen von Makedonia trotz fehlender Bezahlung nicht aufgehört, über Lokales zu berichten und haben auch die Aktivitäten der gewählten AmtsträgerInnen genauer unter die Lupe genommen.

„Bis zuletzt haben wir über jede Story in der Stadt berichtet“, sagte Bouka. „Manchmal haben wir uns auch Geld geliehen, um dies tun zu können.“ Trotz der Schwierigkeiten haben wir uns unsere Würde und unsere Ehrlichkeit bewahrt. Wir haben gekämpft, um unsere LeserInnen mit validen und zeitnahen Informationen zu versorgen.“

Der Disput zwischen dem Management und den Angestellten führte dazu, dass letztere über Rigas verärgert waren, weil er ihrer Ansicht nach nicht genug für die Rettung der Zeitung getan hat. Später tauchte sein Name auch im Rahmen der Untersuchungen der Panama Papers und der Paradise Papers auf.

Aber die Makedonia-JournalistInnen erkannten auch die Rolle, welche die veränderten Dynamiken des Zeitungsmarktes spielten. Die Möglichkeit, dass die JournalistInnen der Zeitung vielleicht Fehler gemacht haben, ließ Bouka unberücksichtigt.

„Vielleicht haben wir [JournalistInnen] es ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr geschafft, die enge Beziehung zu unseren LeserInnen aufrechtzuerhalten und die Bedürfnisse der lokalen Gesellschaft zu befriedigen“, sagte sie. „Allerdings haben die meisten [LeserInnen] aufgehört, für Zeitungen zu bezahlen. „Damit haben sich die Menschen selbst des Rechtes beraubt, ihren Interessen eine starke Stimme zu geben.“

Was auch immer die Gründe dafür sein mögen – die derzeitige Situation ist ernüchternd.

„Es fühlt sich an wie das Ende der lokalen Presse“, reflektierte Bouka. „Eine Stadt mit einer Million Einwohnern hat es nicht geschafft, eine der symbolträchtigsten Zeitungen, die es je gegeben hat, am Leben zu erhalten.“

 

Watchdogs in der Krise

ExpertInnen in Griechenland haben versucht, die Gründe für die Schließung von ehemals renommierten lokalen Medien wie Makedonia zu analysieren.

Christos Frangonikolopoulos, außerordentlicher Professor an der Fakultät für Journalismus und Massenkommunikation der Aristoteles-Universität Thessaloniki, erklärte in einem Interview, dass ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren zu einem Niedergang lokaler Tageszeitungen geführt hätte.

„Lokale Zeitungen zu lesen war eine tägliche Gewohnheit vieler Menschen in Griechenland“, sagte er. „Tausende Exemplare wurden täglich verkauft und lokale Zeitungen waren besonders beliebt.“

Diese Ära, so Frangonikolopoulos, sei nun vorbei.

„Zweifellos sind lokale Zeitungen mit einem Geschäftsmodell, das auf Einnahmen durch Werbung und Auflagenzahlen basiert, von der Wirtschaftskrise besonders stark betroffen“, sagte er.

Er ergänzte aber auch, dass lokale Tageszeitungen in den letzten Jahren etwas Wertvolleres als Geld verloren hätten – das Vertrauen ihrer LeserInnen.

„Manche [lokale Zeitungen] haben versucht, mit nationalen Tageszeitungen zu konkurrieren, wodurch sich ihre LeserInnen gewissermaßen betrogen gefühlt haben und sie den Eindruck hatten, den Kontakt zur Zeitung verloren zu haben. Außerdem – wie von zahlreichen ForscherInnen angekündigt – haben sich viele LeserInnen von ihren Zeitungen abgewandt, weil sie Bedenken hinsichtlich geschäftlicher und politischer Einflussnahme auf die Inhalte der Zeitung hatten.“

Aber die Lösungen, die griechische Medien angesichts dieser doppelten Krise anstrebten, haben wiederum neue Probleme geschaffen.

„Jene [Zeitungen], die heutzutage überleben, versuchen, die LeserInnen durch Websites, Magazine, CDs und Bücher anzuziehen“, erklärte Frangonikolopoulos. „Die Expansion von Fernsehen und Internet zwang die Medien dazu, sich den neuen Unternehmensgrundsätzen des digitalen Zeitalters anzupassen, in dem alles mit einem „Klick“ beginnt und in viralen Stories anstatt in Fakten gemessen wird.“

Mit anderen Worten: Medieninstitutionen haben nicht kreativ genug auf das digitale Zeitalter reagiert, um sich einerseits auf die neuen Technologien einzustellen und andererseits auch ihre Rolle als Watchdogs aufrechtzuerhalten.

Laut Frangonikolopoulos hat diese Entwicklung sowohl die Rolle des Journalismus bei der Bildung einer gut informierten Öffentlichkeit als auch das Konzept der Nachrichten als soziales Gut beeinträchtigt.

Berichterstattung lokaler Nachrichten versiegt allmählich

Theoretisch könnten JournalistInnen, die für nationale griechische Zeitungen arbeiten, auch die lokale Berichterstattung in Thessaloniki übernehmen. Die Realität ist aber weitaus komplizierter.

Laut Yiannis Kotsifos, Geschäftsführer des Verbandes ESIEMTH, haben fast alle nationalen Zeitungen ihre Lokalredaktionen in Thessaloniki geschlossen.

„2014 hat eine der größten Nachrichteninstitutionen in Griechenland, die Lambrakis-Presse-Gruppe (DOL), nach 40 Jahren ihr Korrespondentenbüro in Thessaloniki geschlossen“, sagte Kotsifos. „Abgesehen von einer brandneuen Redaktion, die von der Zeitung Ethnos kürzlich wiedereröffnet wurde, gibt es keine andere organisierte Redaktion in der Stadt.“

Das Fehlen einer lokalen Berichterstattung in Thessaloniki bedroht laut Kotsifos nicht nur Jobs und soziale Rechte in einer ohnehin schon geschwächten Berufssparte, sondern hat auch Folgen hinsichtlich öffentlicher Information.

„Die Realität ist, dass Menschen, die in ländlichen Regionen Griechenlands leben, in ihrem Zugang zu Informationen durch die Medien – einem öffentlichen Gut – stark eingeschränkt werden“, sagte er.

Das gleiche Problem tritt einer Ansicht nach in ganz Europa auf. Dies wurde auch in einem kürzlichen Beschluss der Europäischen Journalisten-Föderation, einer Dachorganisation, der auch der Verband ESIEMTH angehört, betont.

Zeit für Veränderung

Trotz der Schließung von Makedonia erwähnte Bouka auch einen positiven Aspekt.
„Zweifellos wurde unsere Berufssparte tief getroffen“, sagte sie. „Hunderte KollegInnen, die dem Journalismus immer Loyalität entgegengebracht haben und für die ihr Job eher Berufung als Beruf ist, sind arbeitslos und kämpfen ums Überleben.“

Aber sie ergänzte: „Die Zeiten ändern sich, also ist es vielleicht auch für uns an der Zeit, uns zu verändern.“ „Erheben wir unser Haupt und suchen wir Wege, um weiterhin das zu tun, was wir am besten können: die Stimme der Menschen zu sein.“

Aus dem Englischen übersetzt von Katja Deinhofer.
Weitere Artikel auf Deutsch