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Im September letzten Jahres veröffentlichte die ungarische wirtschaftspolitische Wochenzeitung Figyelő einen viel-diskutierten Artikel, der über die Zukunft des größten TV-Senders des Landes spekulierte, RTL Klub.

„Es gibt seit einiger Zeit Gerüchte über den Verkauf von RTL (Gerüchte, die RTL immer zu leugnen versuchte), aber die Tatsache, dass die Firma Verluste und andere Entwicklungen erlitten hat, scheint ein Anzeichen dafür zu sein, dass an diesen Gerüchten möglicherweise etwas Wahres dran ist“, so der Artikel.

Der Artikel sorgte angesichts der folgenden Tatsache für hochgezogene Augenbrauen: Figyelő wurde kürzlich von Mária Schmidt, einer ungarischen Oligarchin mit engen Verbindungen zur Regierung von Premierminister Viktor Orbán, erworben. Der derzeitige Chefredakteur, Tamás Lánczi, war vorher Chefanalyst bei Századvég – einer Denkfabrik, die als Kopf der politischen Entscheidungsprozesse der Regierung gilt.

RTL Klub, auf der anderen Seite, wird als Ungarns mächtigstes regierungsunabhängiges Medium gesehen. Der Sender und seine Muttergesellschaft, Magyar RTL Televízió Zrt. (M-RTL), sind wiederholt mit Orbáns Regierungsmitgliedern in Konflikt geraten. Angesichts dieser Tatsache wird der Artikel des Magazins Figyelő als erneutes Aufflammen vergangener Feindseligkeiten gedeutet.

Diese Deutung macht mehr Sinn, wenn man bedenkt, dass sich unabhängige BeobachterInnen der ungarischen Medienlandschaft darüber einig sind, dass wichtige Artikel in regierungsfreundlichen Medien nur dann veröffentlicht werden, wenn hochrangige Regierungsmitglieder ihren politischen Segen gegeben. Der September-Artikel – so ist es der Brauch, wenn die Regierung eine Botschaft an die Menschen richten will – trägt keine Verfasserangabe und wird fast wortwörtlich von anderen regierungsfreundlichen Medien veröffentlicht.

RTL hat ungewohnt verärgert auf den Artikel reagiert. Am Tag nach der Veröffentlichung hat Péter Kolosi, stellvertretender Geschäftsführer von RTL Klub, ein harsches Statement auf Facebook gepostet, in dem er die von Figyelő veröffentlichten Statistiken bestritt und mitteilte, dass er diese als Teil einer breiter angelegten Kampagne gegen den Sender betrachte.

„Der Artikel wurde geschrieben, um anzudeuten, dass RTL Verluste in Ungarn mache und dass es sich um ein Medium handle, dessen Besitzer versuchen, es loszuwerden“, schrieb Kolosi. „Es ist offensichtlich, dass der Sender Ziel eines koordinierten Angriffs war – voller Lügen und Fehlinformationen.“

Schwer zu knackende Nuss

Die Bedeutung von RTL Klub in der ungarischen Medienlandschaft kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Nach dem Sturz des Kommunismus tauchten schnell private Fernsehsender in Ungarn auf, aber erst 1997 beschloss die nationale Medienbehörde, zwei landesweite Lizenzen zu gewähren. Nach einem umstrittenen und in hohem Maß politisierten Auswahlverfahren wurde eine dieser Lizenzen an M-RTL vergeben – ein Medium, das sich im Besitz der in Luxemburg ansässigen RTL Group befindet und dessen Mehrheitseigentümer der deutsche Mischkonzern Bertelsmann ist.

Innerhalb weniger Wochen wurden RTL Klub und der andere Lizenzinhaber, TV2, zu den Königen der ungarischen Medienlandschaft. Zu diesem Einfluss trug auch Ungarns Lust auf das Fernsehen bei: Ungarn befindet sich regelmäßig an oder in der Nähe der Spitze von Fernsehzuschauer-Rankings in der EU. Im dritten Quartal 2017 verbrachte der durchschnittliche ungarische Staatsbürger erstaunliche 265 Minuten vor dem Fernseher.

Fernsehsender – und speziell die großen nationalen Player – sind deshalb unglaublich mächtige Akteure, nicht nur innerhalb des Medienmarktes, sondern auch allgemein in der ungarischen Gesellschaft. In Ungarn berühmt oder beliebt zu werden, ohne in den Sendern RTL Klub oder TV2 zu erscheinen, ist nicht unmöglich, aber sehr schwierig – auch im Zeitalter von Youtube und Instagram. Einen dieser Sender zu besitzen, verleiht einem viel Macht – beide zu besitzen, beinahe totale Macht.

RTL Klub hat den Zweikampf im privaten Rundfunksektor zwischen sich und TV2 in den letzten 20 Jahren meist für sich entschieden, da der Sender sowohl hinsichtlich des Profits als auch der Zuschauerzahlen an der Spitze lag. Dies machte TV2 zu einer leichteren Zielscheibe für die ungarische Regierung.

Die früheren Besitzer von TV2, die deutsche ProSiebenSat1-Gruppe, verkaufte den Sender 2013 an zwei TV2 Manager – dies wurde weitgehend als Schritt gesehen, eine Übernahme durch die Regierung zu ermöglichen. Letzteres wurde im Oktober 2015 tatsächlich Realität, als der Sender erneut verkauft wurde – dieses Mal an die Magyar Broadcasting Co. Kft, eine Firma, die sich im Besitz des Filmproduzenten und loyalen Verbündeten Orbáns, Andy Vajna, befindet.

Seit diesem Zeitpunkt ist die Kluft der Zuschauerzahlen zwischen RTL Klub und TV2 weiter angewachsen. Außerdem spiegelt das abendliche Nachrichtenprogramm von TV2 – nun als eines der Propagandawerkzeuge der Regierung gesehen – treu die offizielle Regierungslinie wider.

Der ungarische Fernsehsender TV2. REUTERS/Bernadett Szabo

RTL Klub hat sich aber als härtere Nuss erwiesen, die schwieriger zu knacken ist – unter anderem deshalb, weil der Sender seinen Willen und seine Fähigkeit gezeigt hat, die Versuche der Regierung, in den Sender einzugreifen, abzuwehren.

Als im Juni 2014 die damals neu gewählte ungarische Regierung drohte, eine neue Werbesteuer einzuführen, die RTL gezwungen hätte, ganze 50 Prozent seiner Gewinne abzugeben, zeigte das Unternehmen seinen Kampfgeist. Das abendliche Nachrichtenprogramm von RTL Klub, das in den letzten 17 Jahren stets zurückhaltend betreffend politischer Berichterstattung war, und sich eher auf Kriminalgeschichten und „Feel-Good“-Geschichten über niedliche Tiere konzentrierte, wurde plötzlich zu einem schlagkräftigen politischen Schwergewicht. Die ReporterInnen des Senders machten das Leben für viele Regierungsmitglieder und Oligarchen komplizierter, indem sie dafür sorgten, dass ihre zwielichtigen Geschäfte vor den Bildschirmen von Millionen von ungarischen Haushalten landeten. Sogar über die Familie von Premier Orbán, vorher für die meisten ungarischen Medien ein Tabu-Thema, wurde regelmäßig berichtet. Über die Hocheit von Orbáns Tochter und die kuriose religiöse Selbstfindung seines Sohnes – um zwei Beispiele zu nennen – wurde ausführlich berichtet.

Über die Werbesteuer selbst – die sonst eher ein Nischenthema gewesen wäre – berichtete der Sender fast täglich. Die GeschäftsführerInnen des Unternehmens gingen sogar soweit, live zu sagen: „Die Regierung will RTL aus Ungarn verdrängen, aber das wird ihr nicht gelingen“.

Sichtlich erstaunt reagierte die Regierung mit vagen Drohungen, die sich darauf bezogen, Steuerbehörden zum Sender zu schicken, um dort Leichen im Keller zu suchen. Allerdings – nach Warnungen von Brüssel und möglicherweise von deutschen politischen Kreisen – ruderte die Orbán-Regierung schließlich zurück und senkte den Steuersatz auf 5,3 Prozent (2017 auf 7,5 Prozent erhöht). Die JournalistInnen von RTL Klub ruderten hinsichtlich ihrer Berichterstattung über Fidesz etwas zurück, woraufhin es zu einem unbehaglichen Waffenstillstand kam, auch wenn der Sender in den Augen zahlreicher BeobachterInnen auch weiterhin eine einzigartige kritische Stimme in Ungarns Fernsehlandschaft bleiben wird – unter anderem bei Themen wie Korruption und Menschenrechte.

Eigentum in ausländischer Hand ist keine Garantie mehr

Im Jahr 2017 gab es nur sehr wenige mächtige Akteure, die nicht der Kontrolle der Regierung unterlagen. M-RTL, ein im ausländischen Eigentum befindliches Medienunternehmen, welches Einfluss auf Millionen von UngarInnen hat, ist einer davon. Es bestehen aber kaum Zweifel daran, dass Orbán – wenn er beschließt, diese „harte Nuss“ zu knacken – wahrscheinlich die nötigen Mittel dazu hat – es sei denn, es würde jemand einschreiten, der noch mächtiger ist.

Hoffnungen in die ausländischen EigentümerInnen von RTL Klub und ihre UnterstützerInnen zu setzen – im Speziellen deutsche PolitikerInnen – wäre aber riskant. Eigentum in ausländischer Hand wurde früher als sicherer Schutz gegen Einmischungen durch die Regierung in Ungarn gesehen. Zumindest seit 2014 ist dies aber nicht mehr der Fall.

Diesen Sommer legte sich die Orbán-Regierung nicht nur mit RTL und Bertelsmann wegen der Werbesteuer an, sondern auch mit einem weiteren deutschen Giganten: der deutschen Telekom. Die ungarische Tochter der Telekom, Magyar Telekom, war Eigentümer von Origo, der größten Nachrichtenwebseite des Landes. Damals veröffentlichte Origo regelmäßig Artikel, die einigen der einflussreichsten Regierungsmitgliedern ein Dorn im Auge waren.

Die ersten Schwierigkeiten zeichneten sich am 2. Juni ab, als Magyar Telekom den Chefredakteur von Origo entließ, was die Kündigung der meisten JournalistInnen der Webseite zur Folge hatte. Danach wurde Origo an ein Unternehmen verkauft, das von der Familie des Gouverneurs der Hungarian National Bank – ein weiterer Verbündeter Orbáns – kontrolliert wird. Heute wird Origo als weiteres Zahnrad in der gut geölten Propaganda-Maschinerie der Regierung gesehen.

Es gibt zahlreiche Theorien darüber, wie und warum Magyar Telekom entschied, dass es nicht mehr im Interesse des Unternehmens war, eine regierungskritische Nachrichtenwebseite zu finanzieren. Durch Berichten wurde aber klar, dass sie von der Regierung dazu überredet wurde.

So wie viele weitere osteuropäische Medien hat auch Origo nie hohe Gewinne erzielt, und die Entscheidung der Deutschen Telekom, sich vom ungarischen Medienmarkt zurückzuziehen, war ein Spiegel der Entscheidungen anderer ausländischer Unternehmen, seit das Land nach und nach den autoritären Weg eingeschlagen hat.

Das Orbán-Arsenal

Im Gegensatz zu Origo erreichte RTL Klub durchwegs Gewinne für seine Eigentümerin, die RTL-Gruppe, deshalb ist das Unternehmen zögerlicher, zu verkaufen oder einen Kompromiss einzugehen. So haben sie es geschafft, gegen den Druck der Regierung anzukämpfen. Die Orbán-Regierung hat allerdings ein riesiges Arsenal, das eingesetzt werden kann, wenn die Regierung will. Auch wenn die Werbesteuer nicht durchgesetzt werden konnte – es gibt auch andere Methoden, die bereits im kleinen Rahmen getestet wurden.

Derzeit sind alle ungarischen TV-Anbieter gesetzlich dazu verpflichtet, RTL Klub allen KundInnen als Teil ihres „Basic“-Packages anzubieten. Diese Regelung könnte allerdings leicht geändert werden.

Seit 2013 – als der Sender von der ProSiebenSat1-Gruppe verkauft wurde – hat TV2 rund 75 Prozent der Summe bekommen, die die Regierung für Werbespots ausgibt, die in privaten Fernsehsendern ausgestrahlt werden. Diese Zahl ist angesichts der Tatsache, dass RTL Klub die Zuschauerzahlen betreffend gegenüber TV2 weiterhin führend ist, überproportional. Die Werbeeinnahmen von RTL Klub könnten auch weiterhin sinken, wenn die Regierung private Unternehmen überredet, ihr Geld woanders zu investieren. Und das ist wirklich nicht sehr schwierig. Seit Orbán 2010 an die Macht kam, sind die Linien zwischen privaten und öffentlichen Unternehmen nach und nach immer mehr verschwommen. Eine große Zahl von angeblich privaten Unternehmen unterliegt, genaugenommen, der Kontrolle durch regierungsfreundliche PolitikerInnen oder OligarchInnen.

Der September-Artikel im Magazin Figyelő deutete stark an, dass jemand in der Regierung darüber nachdenkt, etwas gegen RTL Klub zu unternehmen. Jegliche Schritte hängen möglicherweise auch davon ab, wie sich RTL Klub während der Kampagne im Vorfeld der Parlamentswahlen im April 2018 verhält. Orbán ist nahe dran, wieder mit großem Abstand zu gewinnen – wenn er das schafft, ist das Schicksal von ungarischen Medien von seinem Wohlwollen abhängig.

Aus dem Englischen übersetzt von Katja Deinhofer.
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